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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
revolutionäre Massenbewegung begründen: der Beginn der immer wiederholten In-
anspruchnahme Kierkegaards für Freigeisterei und politische Kirchenfeindschaft, mit
der er schlechthin nichts zu tun hatte.640
Die andere Verschleierung begann in Schriften Martensens, des Theologen und Bi-
schofs, des jahrzehntelang führenden Kirchenmannes in Dänemark, von hoher phi-
losophischer und theologischer Bildung. Er war Todfeind Kierkegaards, der ihn durch
eine großartige Bloßstellung hatte verstummen lassen. Aus der Feder des ihn
51p Jahrzehnte überlebenden Martensen findet man ausführliche kritische Besprechun-
gen von Kierkegaards Werk und Person.641
In der Form der Milde und Gerechtigkeit, in der überlegenen Haltung des weisen
Kirchenfürsten, verharmloste und zersetzte er Kierkegaards Werk und Erscheinung.
Man findet dort schon alle die klugen Argumente, die bis heute gegen Kierkegaard
wiederholt werden. Wie sonderbar wird dem Leser Martensens zumute! Kierkegaard
stellt vor das Entweder-Oder. Er schafft Klarheit und fordert Entscheidung, nicht im
Gedanken, sondern in der Lebenswirklichkeit selber, in der Existenz. Auch wenn diese
gegen das von ihm denkend gedichtete Christentum erfolgt, ist sie doch durch ihn,
dank ihm, erst hell. Da hört die Gemütlichkeit auf. Martensen aber schreibt in der
Haltung überlegener Ruhe. Er beschreibt das so Gefährliche, als ob es eine krankhafte
Verirrung sei, die Mitleid und Gelassenheit verdiene. Aber das ist eine späte Rache des
siegreichen Kirchenfürsten dem toten Manne gegenüber. Heimlich ist er von Entset-
zen ergriffen vor diesem, der sein gesamtes kirchliches Dasein durchleuchtet und als
unwahrhaftig, so wie es ist, nackt an den Pranger stellt. Er schluckt sein Entsetzen hin-
unter und spinnt das Denken Kierkegaards in die Fäden seines philosophisch gebilde-
ten Sprechens ein, in dem es nicht mehr wiedererkennbar ist.
(d) Für uns aber kann es nicht die Aufgabe sein, Kierkegaard zu überwinden. Das ist
für den, der ihn versteht, nicht möglich. Kierkegaard ist keine Position, sondern eine
Denkungsart. Diese ist unumgänglich, in ihrer Unendlichkeit nicht abschließbar. Wir
sollen auf ihn hören, nicht um ihm zu folgen, außer in dem Willen zur Redlichkeit.
Wir sollen hören auf das, was durch ihn für immer bleibt, auf den Denker der »exis-
tentiellen humanen Grundverhältnisse«.642
(3) Ist es heute nach dem Angriff Kierkegaards auf die Kirche noch möglich, in Redlichkeit
Pfarrer zu werden?
(a) Kierkegaards Schriften zum Kirchenkampf (Der Augenblick - Letzte Übersetzung
von Hayo Gerdes 1959 im Eugen Diederichs-Verlag) halte ich zur Kirchenfrage für
das wichtigste Werk unseres Zeitalters. Dagegen sind alle Angriffe seitens der Auf-
klärung und seitens des marxistischen Atheismus flach. Bei Kierkegaard allein ist der
Ernst, der dem Christentum angemessen ist. Jeder Theologe und jeder, der der Frage
nach seiner eigenen Christlichkeit nicht ausweichen will, muß diese Schriftensamm-
0 lung nebst den vorhergehenden Wer | ken (Einübung im Christentum, Krankheit zum
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
revolutionäre Massenbewegung begründen: der Beginn der immer wiederholten In-
anspruchnahme Kierkegaards für Freigeisterei und politische Kirchenfeindschaft, mit
der er schlechthin nichts zu tun hatte.640
Die andere Verschleierung begann in Schriften Martensens, des Theologen und Bi-
schofs, des jahrzehntelang führenden Kirchenmannes in Dänemark, von hoher phi-
losophischer und theologischer Bildung. Er war Todfeind Kierkegaards, der ihn durch
eine großartige Bloßstellung hatte verstummen lassen. Aus der Feder des ihn
51p Jahrzehnte überlebenden Martensen findet man ausführliche kritische Besprechun-
gen von Kierkegaards Werk und Person.641
In der Form der Milde und Gerechtigkeit, in der überlegenen Haltung des weisen
Kirchenfürsten, verharmloste und zersetzte er Kierkegaards Werk und Erscheinung.
Man findet dort schon alle die klugen Argumente, die bis heute gegen Kierkegaard
wiederholt werden. Wie sonderbar wird dem Leser Martensens zumute! Kierkegaard
stellt vor das Entweder-Oder. Er schafft Klarheit und fordert Entscheidung, nicht im
Gedanken, sondern in der Lebenswirklichkeit selber, in der Existenz. Auch wenn diese
gegen das von ihm denkend gedichtete Christentum erfolgt, ist sie doch durch ihn,
dank ihm, erst hell. Da hört die Gemütlichkeit auf. Martensen aber schreibt in der
Haltung überlegener Ruhe. Er beschreibt das so Gefährliche, als ob es eine krankhafte
Verirrung sei, die Mitleid und Gelassenheit verdiene. Aber das ist eine späte Rache des
siegreichen Kirchenfürsten dem toten Manne gegenüber. Heimlich ist er von Entset-
zen ergriffen vor diesem, der sein gesamtes kirchliches Dasein durchleuchtet und als
unwahrhaftig, so wie es ist, nackt an den Pranger stellt. Er schluckt sein Entsetzen hin-
unter und spinnt das Denken Kierkegaards in die Fäden seines philosophisch gebilde-
ten Sprechens ein, in dem es nicht mehr wiedererkennbar ist.
(d) Für uns aber kann es nicht die Aufgabe sein, Kierkegaard zu überwinden. Das ist
für den, der ihn versteht, nicht möglich. Kierkegaard ist keine Position, sondern eine
Denkungsart. Diese ist unumgänglich, in ihrer Unendlichkeit nicht abschließbar. Wir
sollen auf ihn hören, nicht um ihm zu folgen, außer in dem Willen zur Redlichkeit.
Wir sollen hören auf das, was durch ihn für immer bleibt, auf den Denker der »exis-
tentiellen humanen Grundverhältnisse«.642
(3) Ist es heute nach dem Angriff Kierkegaards auf die Kirche noch möglich, in Redlichkeit
Pfarrer zu werden?
(a) Kierkegaards Schriften zum Kirchenkampf (Der Augenblick - Letzte Übersetzung
von Hayo Gerdes 1959 im Eugen Diederichs-Verlag) halte ich zur Kirchenfrage für
das wichtigste Werk unseres Zeitalters. Dagegen sind alle Angriffe seitens der Auf-
klärung und seitens des marxistischen Atheismus flach. Bei Kierkegaard allein ist der
Ernst, der dem Christentum angemessen ist. Jeder Theologe und jeder, der der Frage
nach seiner eigenen Christlichkeit nicht ausweichen will, muß diese Schriftensamm-
0 lung nebst den vorhergehenden Wer | ken (Einübung im Christentum, Krankheit zum