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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
selber durch die in ihm weiter getriebenen Spaltungen. Wenn dieser katholische Blick
viele Erscheinungen richtig sieht, so doch gar nicht den wahren, substantiellen Grund
des Ernstwerdens im Protestanten. Sein Prinzip legt den Glauben in die persönliche
Verantwortung des Einzelnen. Das Protestieren ist die Außenseite des immer zum Ur-
sprung drängenden, sich stets neu findenden biblischen Glaubens. Das Protestieren
richtet sich sogar gegen seine eigenen noch im Katholischen verharrenden oder wie-
der ihm nachgemachten und es doch nie erreichenden Gebilde.
(c) Im protestantischen Prinzip liegt: Der Einzelne steht unmittelbar zu Gott, ohne
Mittler. Daher gilt ihm das »allgemeine Priestertum«.643 Die Freiheit des Gewissens ist
unantastbar.
Wo dieses Prinzip herrscht, kommt alles auf den Einzelnen, auf seine innere Glau-
bensverfassung, seine eigene Verantwortung, seine Verwirklichung an.
Der biblische Glaube muß im Umgang mit der Bibel von jeder Generation, von je-
dem wieder anfangenden Menschendasein von neuem frei angeeignet werden.
Der Pfarrer spricht in der Gemeinde den Einzelnen an. In den konkreten Lebenssi-
tuationen und den politischen Ereignissen bringt er die sittlichen Forderungen und
die Chiffern zur Sprache. Er leitet nicht aus Dogmen ab, was zu tun sei, sondern er-
weckt aus den Ursprüngen die je eigene Urteilskraft und das Gewissen im biblisch er-
hellten Raum.
Der Pfarrer ist nicht (katholisch) als Amtsfunktion die unpersönliche Vermittlung
der Gnaden (ex opere operato),644 sondern (protestantisch) als diese je einzelne Per-
522 sönlichkeit verläßliche Verwirk|lichung seines Glaubens zur Orientierung, Gleicher
unter Gleichen, Seelsorger und Denker, unerschütterlich in seiner Redlichkeit.
Das protestantische Prinzip scheint eine Unmöglichkeit zu enthalten. Die Men-
schen, die Glieder der Gemeinde, die Pfarrer, alle sind maßlos überfordert. - In der Tat
ist das protestantische Prinzip selten in einem hohen Maße, nie ganz verwirklicht. Es
ist eine große Idee, nicht ein Ideal, das als realisiert gedacht Utopie wäre.
Wo immer Freiheit in Willkür, Gewissensfreiheit in Eigenwillen, biblischer Glaube
in Spielerei mit beliebigen Chiffern umschlägt, ist das protestantische Prinzip verloren.
Da dieser Umschlag in uns so leicht erfolgt, ist das protestantische Prinzip von An-
fang an praktisch so oft verleugnet worden.
Wer aber sagt, die schwachen und ständig mißleiteten Menschen bedürfen der Au-
torität Gottes durch deren Stellvertretung in der Welt und der von ihr ausgehenden
Zwangsgewalt, der darf nicht vergessen: jede Autorität und jede Gewalt wird von Men-
schen über Menschen ausgeübt; die Inanspruchnahme Gottes für sich ist stets eine
schreckliche, glaubensfremde Verwechslung; dann wird gar Kirchenlästerung als Got-
teslästerung beurteilt.
Hier ist zu unterscheiden: Was für das politisch strukturierte Gemeinschaftsle-
ben in Daseinsfragen notwendig ist und im Rechtsstaat, wenn auch stets unvollkom-
men, geordnet wird, das ist nicht die Glaubenswelt und nicht das Ethos, die beide zu
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
selber durch die in ihm weiter getriebenen Spaltungen. Wenn dieser katholische Blick
viele Erscheinungen richtig sieht, so doch gar nicht den wahren, substantiellen Grund
des Ernstwerdens im Protestanten. Sein Prinzip legt den Glauben in die persönliche
Verantwortung des Einzelnen. Das Protestieren ist die Außenseite des immer zum Ur-
sprung drängenden, sich stets neu findenden biblischen Glaubens. Das Protestieren
richtet sich sogar gegen seine eigenen noch im Katholischen verharrenden oder wie-
der ihm nachgemachten und es doch nie erreichenden Gebilde.
(c) Im protestantischen Prinzip liegt: Der Einzelne steht unmittelbar zu Gott, ohne
Mittler. Daher gilt ihm das »allgemeine Priestertum«.643 Die Freiheit des Gewissens ist
unantastbar.
Wo dieses Prinzip herrscht, kommt alles auf den Einzelnen, auf seine innere Glau-
bensverfassung, seine eigene Verantwortung, seine Verwirklichung an.
Der biblische Glaube muß im Umgang mit der Bibel von jeder Generation, von je-
dem wieder anfangenden Menschendasein von neuem frei angeeignet werden.
Der Pfarrer spricht in der Gemeinde den Einzelnen an. In den konkreten Lebenssi-
tuationen und den politischen Ereignissen bringt er die sittlichen Forderungen und
die Chiffern zur Sprache. Er leitet nicht aus Dogmen ab, was zu tun sei, sondern er-
weckt aus den Ursprüngen die je eigene Urteilskraft und das Gewissen im biblisch er-
hellten Raum.
Der Pfarrer ist nicht (katholisch) als Amtsfunktion die unpersönliche Vermittlung
der Gnaden (ex opere operato),644 sondern (protestantisch) als diese je einzelne Per-
522 sönlichkeit verläßliche Verwirk|lichung seines Glaubens zur Orientierung, Gleicher
unter Gleichen, Seelsorger und Denker, unerschütterlich in seiner Redlichkeit.
Das protestantische Prinzip scheint eine Unmöglichkeit zu enthalten. Die Men-
schen, die Glieder der Gemeinde, die Pfarrer, alle sind maßlos überfordert. - In der Tat
ist das protestantische Prinzip selten in einem hohen Maße, nie ganz verwirklicht. Es
ist eine große Idee, nicht ein Ideal, das als realisiert gedacht Utopie wäre.
Wo immer Freiheit in Willkür, Gewissensfreiheit in Eigenwillen, biblischer Glaube
in Spielerei mit beliebigen Chiffern umschlägt, ist das protestantische Prinzip verloren.
Da dieser Umschlag in uns so leicht erfolgt, ist das protestantische Prinzip von An-
fang an praktisch so oft verleugnet worden.
Wer aber sagt, die schwachen und ständig mißleiteten Menschen bedürfen der Au-
torität Gottes durch deren Stellvertretung in der Welt und der von ihr ausgehenden
Zwangsgewalt, der darf nicht vergessen: jede Autorität und jede Gewalt wird von Men-
schen über Menschen ausgeübt; die Inanspruchnahme Gottes für sich ist stets eine
schreckliche, glaubensfremde Verwechslung; dann wird gar Kirchenlästerung als Got-
teslästerung beurteilt.
Hier ist zu unterscheiden: Was für das politisch strukturierte Gemeinschaftsle-
ben in Daseinsfragen notwendig ist und im Rechtsstaat, wenn auch stets unvollkom-
men, geordnet wird, das ist nicht die Glaubenswelt und nicht das Ethos, die beide zu