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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0626
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Philosophie und Offenbarungsglaube

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Schmerzen meines um Wahrheit bemühten Lebens gehört, daß in der Diskussion mit
Theologen es an entscheidenden Punkten aufhört. Sie verstummen, sprechen einen
unverständlichen Satz, reden von etwas anderem, behaupten etwas bedingungslos, re-
den freundlich und gut zu, ohne wirklich vergegenwärtigt zu haben, was man vorher
gesagt hat, und haben wohl am Ende kein eigentliches Interesse.«662
Um dieser Gefahr zu entgehen, wollen wir es | so halten, daß wir uns einige Kern- 17
stücke Ihres Buches vergegenwärtigen und Sie diese interpretieren. Ich, der Theologe,
möchte mich dabei nur als Fragender betätigen, natürlich nicht als ein unbeteiligt Fra-
gender ohne eigenen Standort, sondern als ein Fragender, der seinen Standort im
christlichen Offenbarungsglauben hat. Die beste Regieanweisung für unser Gespräch
haben Sie selbst in Ihrem Buch gegeben. Sie schreiben an einer Stelle: Wenn Philoso-
phie und Offenbarungsglaube miteinander sprechen, sollten siegegenseitig ihre substantielle
Mitte zu erreichen trachten, nicht in den Abgleitungen des anderen dessen Wesen sehen. Wäre
das zu erreichen - es ist auf beiden Seiten so ungeheuer schwierig -, so wäre der Bund der Geg-
nerin einer noch nicht vorstellbaren Weise erreicht (Seite 484).663
Nun, worin Philosoph und Theologe, philosophischer Glaube und Offenbarungs-
glaube, auf alle Fälle übereinstimmen, ist die Deutung der Situation, zunächst die der
allgemeinen Situation der Menschheit, wie sie immer gewesen ist und immer sein
wird. Um sie darzulegen, knüpfen Sie an eine Stelle aus der Kirchengeschichte Bedas
an, wo dieser schildert, wie im Rat eines angel | sächsischen Königs im Jahre 627 n. Chr. 18
über Annahme oder Ablehnung des Christentums entschieden werden soll. Da sagt
einer der Fürsten:
Mein König, das gegenwärtige Leben der Menschen auf Erden scheint mir im Vergleich zu
jener Zeit, die uns unbekannt ist, so zu sein, wie wenn du dich zur Winterszeit mit deinen
Fürsten zu Tisch setzest. Mitten auf dem Herde brennt das Feuer und wärmt den Saal, drau-
ßen aber tobt der Sturm des Schneegestöbers. Da kommt ein Sperling herangeflogen und durch-
fliegt schnell, an der einen Tür herein, an der andern hinaus, den Saal. Während des Augen-
blicks, wo er drinnen ist, bleibt er vom Wintersturm verschont. Hat er jedoch rasch den kleinen
Raum, wo es angenehmer ist, durchflogen, so entschwindet er deinen Augen und kehrt aus
dem Winter in den Winter zurück. So ist auch dieses Menschenleben nur wie ein einziger Au-
genblick. Was ihm vorangegangen ist und was ihm folgt, wissen wir nicht. Wenn uns also
diese neue Religion größere Gewißheit darüber verschafft, so ist es meines Dafürhaltens recht,
ihr zu folgen. (Seite 29)
| Es gibt wohl keinen wahrhaftigen Menschen, der dieser Deutung des menschli- 19
chen Lebens nicht zustimmen würde. Was der angelsächsische Fürst hier sagt, klingt
so gegenwartsnah, als wäre es heute gesprochen. Es ist die Unheimlichkeit unseres Da-
seins, die uns hier überfällt. Aus ihr entspringt die Frage nach der Vergewisserung. Was
gibt uns Gewißheit im Leben, woran können wir uns halten, besser noch, was hält uns?
Was trägt? Interpretiere ich damit in Ihrem Sinne oder trage ich damit von mir aus vor-
eilig eine christliche Interpretation hinein?
 
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