Philosophie und Offenbarungsglaube
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Ein zweites Beispiel: Die Glaubensaussage, Jesus sei leiblich aus dem Grabe aufer-
standen, als leiblich Auferstandener unter seinen Jüngern erschienen, er habe mit ih-
nen gesprochen und sei dann zum Himmel gefahren. Das alles ist als Realität unhalt-
bar. Ein toter Leib kann als Leib nicht lebendig werden, so daß dieser Leib als Realität
in der Welt begegnet, sei es als eine sonderbare Leiblichkeit, die nicht berührt werden
darf, sei es als gewöhnliche Leiblichkeit, die zu tasten ist und in deren Wunden die Fin-
ger zu legen sind.675 Noch haben die Theologen keineswegs, wie bei der Schöpfungs-
geschichte, insgesamt die leibliche Auferstehung aufgegeben mit der Wendung, die
die natürliche wäre: die Bibel belehrt nicht über biologische Realitäten.
Wissenschaftliche Erkenntnis, sagte ich, ist in der Welt unumgänglich, und was
ihr widerspricht, ist Täuschung. So ist es auch in der Philosophie. Die Philosophie
hat durch all die Jahrtausende bis heute noch Weltbilder geschaffen. | Kein Weltbild 40
ist haltbar. Es ist entweder ein partikulares Mittel zum Zwecke der Forschung in der
Welt oder eine Chiffer des Weltganzen, die nicht wissenschaftlich, sondern aus ganz
anderen Zusammenhängen beurteilt werden muß. Ein philosophischer Glaube, der
ein Weltbild festhält, heute noch populär, hat gegen die Wissenschaft verstoßen. Der
Wahrheitscharakter von Glaube und Wissenschaft ist wesensverschieden. Wissen-
schaftliche Erkenntnis ist partikular, begründet sich auf nennbare bestimmte Vor-
aussetzungen, ist gültig in den Grenzen dieser Voraussetzungen, also relativ auf diese
Voraussetzungen und hier in diesem Bereiche zwingend und allgemeingültig. Glau-
benserkenntnis dagegen hat als Voraussetzung das im Denken sich hell werdende
Glauben und erscheint in vielfacher Gestalt. Es ist in seinen Aussagen geschicht-
lich relativ, aber in seiner Kraft für eine Lebensverfassung und einen Entschluß un-
bedingt, eine Wahrheit, die zugleich nicht allgemeingültig für alle in der Aussagbar-
keit ist und doch unbedingt für den geschichtlich Glaubenden ist, wie keine einzige
wissenschaftliche Erkenntnis unbedingten Charakter haben kann. In kürzester Form
ge|faßt: Kein Mensch kann aus wissenschaftlichen Ergebnissen sein Leben führen. Je- 41
der Mensch braucht für alles, was ihm ernst ist, Glaubensgrundlage. Was ich hier aus-
führe, ist durchaus nicht geläufig, so einfach und überzeugend es mir scheint. In der
neueren Philosophiegeschichte ist sozusagen die Philosophie als eigentliche Philoso-
phie trotzdem.
Mit Descartes begann es, daß die Philosophie eine Sachphilosophie wurde. Würde
ich die Entwicklung der neueren Philosophie zeigen, so würde ich in jedem einzelnen
Falle, etwa bei Spinoza oder bei Kant, zeigen, wie das, das sie meinten, als Wissenschaft
vorzutragen, nicht das Eigentliche ist. Die Wissenschaft der Philosophie ist eine Form
des Wissenschaftsaberglaubens und hat sich heute in die wunderliche Form gebracht,
daß der Marxismus, der ja seiner Zeit seinerseits ein Ableger Hegels ist, dieselbe Grund-
gesinnung der Wissenschaft festhält und sich als wissenschaftlich gibt, während er in
wissenschaftlichen Kleidern moderner Naturwissenschaft, die er ganz unabhängig von
seinem Glauben betreibt, in der Tat ein Glaube ist, der sich als solcher nicht ausgibt.
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Ein zweites Beispiel: Die Glaubensaussage, Jesus sei leiblich aus dem Grabe aufer-
standen, als leiblich Auferstandener unter seinen Jüngern erschienen, er habe mit ih-
nen gesprochen und sei dann zum Himmel gefahren. Das alles ist als Realität unhalt-
bar. Ein toter Leib kann als Leib nicht lebendig werden, so daß dieser Leib als Realität
in der Welt begegnet, sei es als eine sonderbare Leiblichkeit, die nicht berührt werden
darf, sei es als gewöhnliche Leiblichkeit, die zu tasten ist und in deren Wunden die Fin-
ger zu legen sind.675 Noch haben die Theologen keineswegs, wie bei der Schöpfungs-
geschichte, insgesamt die leibliche Auferstehung aufgegeben mit der Wendung, die
die natürliche wäre: die Bibel belehrt nicht über biologische Realitäten.
Wissenschaftliche Erkenntnis, sagte ich, ist in der Welt unumgänglich, und was
ihr widerspricht, ist Täuschung. So ist es auch in der Philosophie. Die Philosophie
hat durch all die Jahrtausende bis heute noch Weltbilder geschaffen. | Kein Weltbild 40
ist haltbar. Es ist entweder ein partikulares Mittel zum Zwecke der Forschung in der
Welt oder eine Chiffer des Weltganzen, die nicht wissenschaftlich, sondern aus ganz
anderen Zusammenhängen beurteilt werden muß. Ein philosophischer Glaube, der
ein Weltbild festhält, heute noch populär, hat gegen die Wissenschaft verstoßen. Der
Wahrheitscharakter von Glaube und Wissenschaft ist wesensverschieden. Wissen-
schaftliche Erkenntnis ist partikular, begründet sich auf nennbare bestimmte Vor-
aussetzungen, ist gültig in den Grenzen dieser Voraussetzungen, also relativ auf diese
Voraussetzungen und hier in diesem Bereiche zwingend und allgemeingültig. Glau-
benserkenntnis dagegen hat als Voraussetzung das im Denken sich hell werdende
Glauben und erscheint in vielfacher Gestalt. Es ist in seinen Aussagen geschicht-
lich relativ, aber in seiner Kraft für eine Lebensverfassung und einen Entschluß un-
bedingt, eine Wahrheit, die zugleich nicht allgemeingültig für alle in der Aussagbar-
keit ist und doch unbedingt für den geschichtlich Glaubenden ist, wie keine einzige
wissenschaftliche Erkenntnis unbedingten Charakter haben kann. In kürzester Form
ge|faßt: Kein Mensch kann aus wissenschaftlichen Ergebnissen sein Leben führen. Je- 41
der Mensch braucht für alles, was ihm ernst ist, Glaubensgrundlage. Was ich hier aus-
führe, ist durchaus nicht geläufig, so einfach und überzeugend es mir scheint. In der
neueren Philosophiegeschichte ist sozusagen die Philosophie als eigentliche Philoso-
phie trotzdem.
Mit Descartes begann es, daß die Philosophie eine Sachphilosophie wurde. Würde
ich die Entwicklung der neueren Philosophie zeigen, so würde ich in jedem einzelnen
Falle, etwa bei Spinoza oder bei Kant, zeigen, wie das, das sie meinten, als Wissenschaft
vorzutragen, nicht das Eigentliche ist. Die Wissenschaft der Philosophie ist eine Form
des Wissenschaftsaberglaubens und hat sich heute in die wunderliche Form gebracht,
daß der Marxismus, der ja seiner Zeit seinerseits ein Ableger Hegels ist, dieselbe Grund-
gesinnung der Wissenschaft festhält und sich als wissenschaftlich gibt, während er in
wissenschaftlichen Kleidern moderner Naturwissenschaft, die er ganz unabhängig von
seinem Glauben betreibt, in der Tat ein Glaube ist, der sich als solcher nicht ausgibt.