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Philosophie und Offenbarungsglaube
42 | Zahrnt
Sie fragen nun, ob es nicht möglich und notwendig sei, in unserer gegenwärtigen Si-
tuation angesichts des nun anbrechenden Erdzeitalters einen allgemeinen Rahmen zu
schaffen, innerhalb dessen sich die verschiedenen Weisen geschichtlichen Glaubens
treffen können, ohne sich aufzugeben. Dieser Rahmen sollte inhaltlich nicht bestimm-
bar, aber verbindlich sein. Sie nennen ihn das philosophische Grundwissen. Wir dür-
fen auch hier wieder zunächst einen einschlägigen Abschnitt Ihres Buches lesen und
Sie dann bitten, ihn zu interpretieren:
Die Idee dieses Grundwissens ist, im ständig zu erweiternden Wissen aller geschichtlich
schon verwirklichten Möglichkeiten nicht notwendig eine neue Weise dieser geschichtlichen
Gestalten zu konstituieren, sondern der Situation entsprechend, in die wir heute hineingebo-
ren sind, das zu tun, was dem Wissenden übrig bleibt: Herausgerissen aus allen bisherigen
Glaubensselbstverständlichkeiten kann der Mensch weder eine solche wiederherstellen (eine
43 künstliche Wiederherstellung würde eine unehrlich gewordene | Tradition vergeblich zu hal-
ten versuchen) noch eine neue nach Plan machen. Etwas anderes kann entstehen: Im Umgang
mit der verstehend angeeigneten Überlieferung der Ursprünge und der geistigen Verwirklichun-
gen, im Besitz solchen verstehenden Wissens, fähig zu der unendlichen Reflexion, muß der
Mensch seinen Ernst in neuer Gestalt gründen, die ein in der Mitteilung allgemein verbinden-
des formales Grundwissen als Voraussetzung sucht...
Es ist die Frage, ob alle Menschen auf dem Erdball sich schließlich gemeinsam gründen
könnten auf die allgemeine Vernunft, die wesentlich als die Form des Sichverbindens über-
hauptentworfen ist. Ist ein gemeinsamer Rahmen von größter Weite möglich, innerhalb des-
sen die Kommunikation geschichtlich heterogenen Glaubens und seines Selbstverständnisses
geschehen könnte, ohne sich preiszugeben, vielmehr um sich selber aus der eigenen Tiefe zu
verwandeln in die neuen Gestalten, die unter den Bedingungen des nun anbrechenden Erdzeit-
alters den Ernst der Menschen gründen ?
44 Das Selbstverständnis der großen Glaubensgestalten der Menschheit ruhte bisher auf\ me-
taphysischen, ontologischen, Offenbarungsvoraussetzungen, die sich entweder gegenseitig
hinnahmen, keineswegs verstanden, oder aber im Nichtverstehen sich gegenseitig leiden-
schaftlich bekämpften. Sie könnten nur in Gegenseitigkeit zum vollen Verständnis ihrer selbst
und des anderen gebracht werden, wenn ein Rahmen der Mitteilbarkeit sie verbände, in dem
kein geschichtlicher Glaubensursprung verloren ginge oder sich preisgeben müßte...
Dieses Ziel verlangt eine alloffene Vergegenwärtigung, in der ein jeder sich der Weite sei-
ner Möglichkeiten bewußtwird. Aber es verlangt nicht einen bestimmten Glaubensinhalt, eine
Weise des absoluten Grundwissens. Daher bedeutet der Entwurf dieser modernen Gestalt des
Grundwissens nicht die Verkündigung einer nun endgültig erreichten Einsicht, sondern das
Ausstrecken der Hände. Das Verlangen ist, dieses Grundwissen, das Bedingung eines allge-
meinen Sichverbindens ist, selber in der Verbindung zu entfalten (Seite 147-151).
Philosophie und Offenbarungsglaube
42 | Zahrnt
Sie fragen nun, ob es nicht möglich und notwendig sei, in unserer gegenwärtigen Si-
tuation angesichts des nun anbrechenden Erdzeitalters einen allgemeinen Rahmen zu
schaffen, innerhalb dessen sich die verschiedenen Weisen geschichtlichen Glaubens
treffen können, ohne sich aufzugeben. Dieser Rahmen sollte inhaltlich nicht bestimm-
bar, aber verbindlich sein. Sie nennen ihn das philosophische Grundwissen. Wir dür-
fen auch hier wieder zunächst einen einschlägigen Abschnitt Ihres Buches lesen und
Sie dann bitten, ihn zu interpretieren:
Die Idee dieses Grundwissens ist, im ständig zu erweiternden Wissen aller geschichtlich
schon verwirklichten Möglichkeiten nicht notwendig eine neue Weise dieser geschichtlichen
Gestalten zu konstituieren, sondern der Situation entsprechend, in die wir heute hineingebo-
ren sind, das zu tun, was dem Wissenden übrig bleibt: Herausgerissen aus allen bisherigen
Glaubensselbstverständlichkeiten kann der Mensch weder eine solche wiederherstellen (eine
43 künstliche Wiederherstellung würde eine unehrlich gewordene | Tradition vergeblich zu hal-
ten versuchen) noch eine neue nach Plan machen. Etwas anderes kann entstehen: Im Umgang
mit der verstehend angeeigneten Überlieferung der Ursprünge und der geistigen Verwirklichun-
gen, im Besitz solchen verstehenden Wissens, fähig zu der unendlichen Reflexion, muß der
Mensch seinen Ernst in neuer Gestalt gründen, die ein in der Mitteilung allgemein verbinden-
des formales Grundwissen als Voraussetzung sucht...
Es ist die Frage, ob alle Menschen auf dem Erdball sich schließlich gemeinsam gründen
könnten auf die allgemeine Vernunft, die wesentlich als die Form des Sichverbindens über-
hauptentworfen ist. Ist ein gemeinsamer Rahmen von größter Weite möglich, innerhalb des-
sen die Kommunikation geschichtlich heterogenen Glaubens und seines Selbstverständnisses
geschehen könnte, ohne sich preiszugeben, vielmehr um sich selber aus der eigenen Tiefe zu
verwandeln in die neuen Gestalten, die unter den Bedingungen des nun anbrechenden Erdzeit-
alters den Ernst der Menschen gründen ?
44 Das Selbstverständnis der großen Glaubensgestalten der Menschheit ruhte bisher auf\ me-
taphysischen, ontologischen, Offenbarungsvoraussetzungen, die sich entweder gegenseitig
hinnahmen, keineswegs verstanden, oder aber im Nichtverstehen sich gegenseitig leiden-
schaftlich bekämpften. Sie könnten nur in Gegenseitigkeit zum vollen Verständnis ihrer selbst
und des anderen gebracht werden, wenn ein Rahmen der Mitteilbarkeit sie verbände, in dem
kein geschichtlicher Glaubensursprung verloren ginge oder sich preisgeben müßte...
Dieses Ziel verlangt eine alloffene Vergegenwärtigung, in der ein jeder sich der Weite sei-
ner Möglichkeiten bewußtwird. Aber es verlangt nicht einen bestimmten Glaubensinhalt, eine
Weise des absoluten Grundwissens. Daher bedeutet der Entwurf dieser modernen Gestalt des
Grundwissens nicht die Verkündigung einer nun endgültig erreichten Einsicht, sondern das
Ausstrecken der Hände. Das Verlangen ist, dieses Grundwissen, das Bedingung eines allge-
meinen Sichverbindens ist, selber in der Verbindung zu entfalten (Seite 147-151).