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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0636
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Philosophie und Offenbarungsglaube

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|Jaspers 45
Indem ich angehört habe, was eben aus meinem Buche gelesen wurde, spüre ich, wie
schwierig in Kürze von diesem Grundwissen etwas zu sagen ist. Ich fürchte, man ver-
steht nicht ohne weiteres. Trotzdem erlaube ich mir ein paar Worte: Das philosophi-
sche Grundwissen zu suchen als Aufgabe, in der wir alle über den Erdball hin uns ver-
stehen können, ist einerseits bescheiden, weil dieses Grundwissen kein Glaube ist und
sich selber noch nicht für endgültig hält, sondern Analogie zu den Wissenschaften,
nicht eigentlich Wissenschaft selber, sich jeweils begründend und weiter erhaltend.
Aber dieses Grundwissen ist zugleich sehr unbescheiden, weil es die Hoffnung hat auf
eine Gemeinsamkeit der Grundbegriffe, in denen Menschen miteinander aus gänz-
lich verschiedenen Glaubensursprüngen miteinander reden können, sich verstehen
können.
Ich wähle ein Beispiel, um den Sinn des Grundwissens vielleicht näherzubrin-
gen. Es ist etwas radikal anderes, ob ich da bin, wie alle Lebewesen in einer Welt lebe,
oder ob ich denkend bin. Als Da-Sein bin ich ein Individuum, | einmalig, wenn auch 46
nach einer typischen Art. Als Denkender bin ich Bewußtsein überhaupt, nehme teil
an einem Allgemeinen, für alle Denkenden Gleichen, bin sozusagen nur ein Punkt,
vertretbar, kein Individuum. Als Da-Sein vollziehe ich, was mein Leben verlangt,
was ich für mein Interesse, für mein Glück halte. Als Bewußtsein überhaupt, als die-
ser beliebig vertretbare Punkt, bin ich nur durch die Art und den Umfang der Teil-
nahme an dem allgemeinen Wissen von anderen unterschieden. Dasein also und
Bewußtsein überhaupt habe ich eben unterschieden. Nun nenne ich diese Weisen,
die wir selber sind (was ich jetzt nicht erkläre), Weisen des Umgreifenden, und es
gibt noch andere Weisen, nämlich: den Geist, die Vernunft, die mögliche Existenz,
wie wir es nennen, von denen ich jetzt kein Wort sagen kann. Diese Weisen des Um-
greifenden, in denen wir uns finden, lassen sich meines Erachtens so erhellen, daß
noch ohne jeden bestimmten Inhalt die Formen gefunden werden, in denen man
sich gegenseitig (wie ich wiederhole) aus den verschiedensten Glaubensursprüngen
treffen kann.

| Zahrnt 47

Man kann also das, was Sie das philosophische Grundwissen nennen, nicht so in Be-
sitz nehmen und dann darüber verfügen, wie man irgendein anderes Wissen, etwa ein
historisches oder technisches, in Besitz nehmen und darüber verfügen kann. Vielmehr
bedarf es zur Annahme und Vergewisserung des philosophischen Grundwissens einer
Umwendung, einer Umkehr. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von der »philo-
sophischen Grundoperation«.676 Worin besteht sie? Wie vollzieht sie sich?
 
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