4 Der Fall Wagner
„vielleicht nie wieder" auf Wagner „zurückkommen", dennoch 1888 WA
schrieb. Die Legende verdankt sich vermutlich der Phantasie von Elisabeth
Förster-Nietzsche, in deren Biographie zu lesen ist: „Es wurde meinem Bruder
in jenem Winter oder Frühjahre 1888 eine Botschaft von Hans von Bülow aus-
gerichtet, die gleichfalls eine sehr scharfe Kritik des Bayreuther Kreises enthielt
und mit der Aufforderung schloß: ,Friedrich Nietzsche sollte doch einmal
schreiben, weshalb er von Bayreuth fortgegangen wäre; daraus würde sicher-
lich viel zu lernen sein; er selbst (Bülow) wolle sich über ein verwandtes
Thema äussern."' (Förster-Nietzsche 1904, 2/2, 851) Förster-Nietzsche behauptet
weiter, „diese Botschaft" habe ihr Bruder „seinen Aufzeichnungen nach zwei-
mal" erhalten, lässt aber offen, ob dies „die Anregung zum ,Fall Wagner' gege-
ben" habe (ebd.), ist sie doch stets bestrebt, die intellektuelle Unabhängigkeit
N.s von äußeren Einflüssen zu behaupten. Von den fraglichen Aufzeichnungen
findet sich im bisher edierten Nachlass keine Spur. Immerhin aber erwähnt N.
in zwei Briefen ein mit WA verwandtes Projekt Bülows: „Eben höre ich, daß
von Hans von Bülow eine Schrift erscheinen wird ,Alt- und Neu-Wagne-
rianer' betitelt. Das Zusammentreffen mit meinem Pamphlet ist curios."
(N. an Köselitz, 12. 09. 1888, KSB 8, Nr. 1105, S. 417, Z. 26-28; ähnlich an seinen
Verleger Constantin Georg Naumann, 15. 09. 1888, KSB 8, Nr. 1118, S. 438,
Z. 34-37). Die Quelle dieses Hörensagens dürfte der Musiker Carl von Holten
gewesen sein, mit dem N. im Sommer 1888 persönlichen Kontakt pflegte (KGB
III 7/3, 1, S. 408); ansonsten ist über einschlägige Publikationspläne Bülows
nichts bekannt. Mit der Entstehung von WA haben diese angeblichen Publikati-
onspläne Bülows ohnehin nichts zu tun; N. hörte davon erst („Eben"), als der
Druck von WA bereits abgeschlossen war; für eine allfällige Spezialbotschaft
aus dem Hause Bülow ist Förster-Nietzsche die alleinige Zeugin.
WA entstand zwischen April und August 1888 zunächst in Turin, sodann
in Sils-Maria (zum biographischen Rahmen siehe NK ÜK AC). Schon in den
vorangegangenen Monaten war N. immer wieder auf Wagner und das eigene
Verhältnis zu ihm zu sprechen gekommen. Am 19. 02. 1888 schrieb er etwa an
Georg Brandes, die beiden Unzeitgemässen Betrachtungen über Schopenhauer
und Wagner stellten „mehr Selbstbekenntnisse, vor allem Selbstgelöb-
nisse über mich dar als etwa eine wirkliche Psychologie jener mir ebenso tief
verwandten als antagonistischen Meister" (KSB 8, Nr. 997, S. 260, Z. 53-56). Mit
seinem Brief vom 17. 02. 1888 (KGB III 6, Nr. 519, S. 157 f.) und einem Lektürebe-
richt zu Wagners Oper und Drama gab Köselitz N. Anlass, über Wagners „,dra-
matische[n] Stil'" nachzudenken, der „nichts weiter ist als eine Species des
schlechten Stils, ja sogar des Nicht-Stils in der Musik" (KSB 8, Nr. 1000,
S. 263, Z. 10-12). Darüber geht N. eine Erkenntnis auf, aus der sich der
Anspruch von WA dann ableiten wird: „Eigentlich ist Alles ungesagt, ja wie
„vielleicht nie wieder" auf Wagner „zurückkommen", dennoch 1888 WA
schrieb. Die Legende verdankt sich vermutlich der Phantasie von Elisabeth
Förster-Nietzsche, in deren Biographie zu lesen ist: „Es wurde meinem Bruder
in jenem Winter oder Frühjahre 1888 eine Botschaft von Hans von Bülow aus-
gerichtet, die gleichfalls eine sehr scharfe Kritik des Bayreuther Kreises enthielt
und mit der Aufforderung schloß: ,Friedrich Nietzsche sollte doch einmal
schreiben, weshalb er von Bayreuth fortgegangen wäre; daraus würde sicher-
lich viel zu lernen sein; er selbst (Bülow) wolle sich über ein verwandtes
Thema äussern."' (Förster-Nietzsche 1904, 2/2, 851) Förster-Nietzsche behauptet
weiter, „diese Botschaft" habe ihr Bruder „seinen Aufzeichnungen nach zwei-
mal" erhalten, lässt aber offen, ob dies „die Anregung zum ,Fall Wagner' gege-
ben" habe (ebd.), ist sie doch stets bestrebt, die intellektuelle Unabhängigkeit
N.s von äußeren Einflüssen zu behaupten. Von den fraglichen Aufzeichnungen
findet sich im bisher edierten Nachlass keine Spur. Immerhin aber erwähnt N.
in zwei Briefen ein mit WA verwandtes Projekt Bülows: „Eben höre ich, daß
von Hans von Bülow eine Schrift erscheinen wird ,Alt- und Neu-Wagne-
rianer' betitelt. Das Zusammentreffen mit meinem Pamphlet ist curios."
(N. an Köselitz, 12. 09. 1888, KSB 8, Nr. 1105, S. 417, Z. 26-28; ähnlich an seinen
Verleger Constantin Georg Naumann, 15. 09. 1888, KSB 8, Nr. 1118, S. 438,
Z. 34-37). Die Quelle dieses Hörensagens dürfte der Musiker Carl von Holten
gewesen sein, mit dem N. im Sommer 1888 persönlichen Kontakt pflegte (KGB
III 7/3, 1, S. 408); ansonsten ist über einschlägige Publikationspläne Bülows
nichts bekannt. Mit der Entstehung von WA haben diese angeblichen Publikati-
onspläne Bülows ohnehin nichts zu tun; N. hörte davon erst („Eben"), als der
Druck von WA bereits abgeschlossen war; für eine allfällige Spezialbotschaft
aus dem Hause Bülow ist Förster-Nietzsche die alleinige Zeugin.
WA entstand zwischen April und August 1888 zunächst in Turin, sodann
in Sils-Maria (zum biographischen Rahmen siehe NK ÜK AC). Schon in den
vorangegangenen Monaten war N. immer wieder auf Wagner und das eigene
Verhältnis zu ihm zu sprechen gekommen. Am 19. 02. 1888 schrieb er etwa an
Georg Brandes, die beiden Unzeitgemässen Betrachtungen über Schopenhauer
und Wagner stellten „mehr Selbstbekenntnisse, vor allem Selbstgelöb-
nisse über mich dar als etwa eine wirkliche Psychologie jener mir ebenso tief
verwandten als antagonistischen Meister" (KSB 8, Nr. 997, S. 260, Z. 53-56). Mit
seinem Brief vom 17. 02. 1888 (KGB III 6, Nr. 519, S. 157 f.) und einem Lektürebe-
richt zu Wagners Oper und Drama gab Köselitz N. Anlass, über Wagners „,dra-
matische[n] Stil'" nachzudenken, der „nichts weiter ist als eine Species des
schlechten Stils, ja sogar des Nicht-Stils in der Musik" (KSB 8, Nr. 1000,
S. 263, Z. 10-12). Darüber geht N. eine Erkenntnis auf, aus der sich der
Anspruch von WA dann ableiten wird: „Eigentlich ist Alles ungesagt, ja wie