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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0049
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30 Der Fall Wagner

seiner Seite zu kämpfen, folgt aus FW 323, KSA 3, 552, 18-21: „Die grösste
Auszeichnung erweist uns das Schicksal, wenn es uns eine Zeit lang auf der
Seite unserer Gegner hat kämpfen lassen. Damit sind wir vorherbestimmt
zu einem grossen Siege."
11, 7 Wagnerei] Das Abstractum „Wagnerei" benutzt N. (zusammen mit „Scho-
penhauerei") erstmals in M 167, KSA 3, 149, 23, zusammen mit „Hegelei" auch
in FW 99, KSA 3, 456, 2-4 (vgl. EH GT 1, KSA 6, 309, 6). „Wagnerei" ist bereits
vor N. zur Verächtlichmachung der von Wagner initiierten Kulturmode im
Gebrauch; N. verwendet den Ausdruck durchgehend pejorativ. Immerhin
macht Wagner in einem Gelegenheitsgedicht von 1879 selbst davon Gebrauch,
dort allerdings nicht auf seine Anhänger, sondern auf seine Familie bezogen:
„Zu ihrem kleinen Sohn / nun noch ,Gottes Segen von Cohn', / was wollen sie
mehr Lohn / für Welten-Spott und Hohn? / Zu dem gut gebrüteten Ei / gratulirt
die ganze Wagnerei!" (Wagner 1911, 12, 378).
11, 10-13 Wenn ich Moralist wäre, wer weiss, wie ich's nennen würde! Vielleicht
Selbstüberwindung. — Aber der Philosoph liebt die Moralisten nicht... er
liebt auch die schönen Worte nicht...] Im Frühwerk erlegte sich N. keine solche
Zurückhaltung vor dem „schönen Wort" der Selbstüberwindung auf. Ausge-
rechnet zu Wagner heißt es in UB IV WB 9, KSA 1, 496, 1-3: „Welche Strenge
und Gleichmässigkeit des Willens, welche Selbstüberwindung der Künstler in
der Zeit seines Werdens nöthig hatte". Dennoch kommt der Begriff bei N. zwar
recht häufig vor, wird aber von ihm kaum emphatisch für sich und sein Denken
in Anspruch genommen. Immerhin wird die Überwindung der christlich-theis-
tischen Weltdeutung in FW 357, KSA 3, 600, 27 als „Europa's längste[.] und
tapferste[.] Selbstüberwindung" gelobt, deren „Erben" wir seien. Bei N.s Wort-
verwendung fällt auf, dass häufig gar nicht einzelne Personen, sondern
Abstracta wie „Europa", die „Moral" („Selbstüberwindung der Moral" — JGB
32, KSA 5, 51, 27 f. u. GM III 27, KSA 5, 410, 12) oder „der Mensch" („die fortge-
setzte ,Selbst-Überwindung des Menschen', um eine moralische Formel in
einem übermoralischen Sinne zu nehmen" — JGB 257, KSA 5, 205, 18-20) das
Subjekt der Selbstüberwindung sind. Selbst im Falle Goethes ist nicht von des-
sen Selbstüberwindung, sondern von der „Selbstüberwindung von Seiten die-
ses Jahrhunderts" (GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 49, KSA 6, 151, 7 f.),
also des 18. Jahrhunderts die Rede. „Selbstüberwindung" wird beim späten
N. zur Chiffre in einer geschichtlichen Entwicklungslogik, die durchaus mit
apodiktischem Ton verkündet wird: „Alle grossen Dinge gehen durch sich
selbst zu Grunde, durch einen Akt der Selbstaufhebung: so will es das Gesetz
des Lebens, das Gesetz der nothwendigen ,Selbstüberwindung' im Wesen
des Lebens" (GM III 27, KSA 5, 410, 13-16). Erst in Ecce homo werden Ich und
 
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