Stellenkommentar WA 1, KSA 6, S. 12-13 39
übersetzt „Lachend das Ernste sagen", ursprünglich als Motto auf dem Titel-
blatt von WA stehen haben. Im Brief an seinen Verleger Constantin Georg Nau-
mann vom 12. 08. 1888 veranlasst er eine Umstellung: „Auf dem Umschlag
wollen wir die Worte ridendo dicere severum weglassen, nachdem dieselben
auf dem Blatt, wo die Worte Turiner Brief stehen, eine schicklichere Stelle
gefunden haben." (KSB 8, Nr. 1089, S. 391, Z. 26-29) N. erläutert seine Wahl
des Mottos näher in EH WA 1, KSA 6, 357, 9-15: „Gesetzt aber, dass man derge-
stalt die Sache der Musik wie seine eigene Sache, wie seine eigene Leidens-
geschichte fühlt, so wird man diese Schrift voller Rücksichten und über die
Maassen mild finden. In solchen Fällen heiter sein und sich gutmüthig mit
verspotten — ridendo dicere severum, wo das verum dicere jede Härte rechtfer-
tigen würde — ist die Humanität selbst." Hanslick 1880, 145 f. berichtet davon,
dass bei der Aufführung der von N. so geschätzten Carmen Bizets (vgl. NK 11,
2-4) nach der Ermordung der Protagonistin „über dem Vorhang in goldenen
Lettern die Devise [...] ,Ridendo castigat mores"' zu lesen gewesen sei — über-
setzt: „Lachend züchtigt sie/er die Sitten".
13, 5-21 Ich hörte gestern — werden Sie es glauben? — zum zwanzigsten Male
Bizet's Meisterstück. Ich harrte wieder mit einer sanften Andacht aus, ich lief
wieder nicht davon. Dieser Sieg über meine Ungeduld überrascht mich. Wie ein
solches Werk vervollkommnet! Man wird selbst dabei zum „Meisterstück". — Und
wirklich schien ich mir jedes Mal, dass ich Carmen hörte, mehr Philosoph, ein
besserer Philosoph, als ich sonst mir scheine: so langmüthig geworden, so glück-
lich, so indisch, so sesshaft... Fünf Stunden Sitzen: erste Etappe der Heilig-
keit! — Darf ich sagen, dass Bizet's Orchesterklang fast der einzige ist, den ich
noch aushalte? Jener andere Orchesterklang, der jetzt obenauf ist, der Wagneri-
sche, brutal, künstlich und „unschuldig" zugleich und damit zu den drei Sinnen
der modernen Seele auf Einmal redend, — wie nachtheilig ist mir dieser Wagneri-
sche Orchesterklang! Ich heisse ihn Scirocco. Ein verdriesslicher Schweiss bricht
an mir aus. Mit meinem guten Wetter ist es vorbei.] In W II 6, 38 ist folgende
Variante dieses Passus überliefert: „Ich schildere jene Eindrücke, die ich oft
genug neben einander erlebte, die ich vergleichen konnte: den Eindruck, den
Bizet's Meisterstück, Carmen auf mich macht, und den einer Oper Wagners.
Bei ersterer harre ich mit einer sanften Andacht aus, bei letzterer laufe ich
davon..." (KSA 14, 402, vgl. auch NL 1888, KSA 13, 15[111], 471).
13, 5 f. Ich hörte gestern — werden Sie es glauben? — zum zwanzigsten Male
Bizet's Meisterstück.] Zu N.s Interesse an Bizet vgl. NK 11, 2-4. N. hat Bizets
Carmen wohl zum ersten Mal am 27. 11. 1881 in Genua gehört, Anfang Dezem-
ber 1881 zum zweiten Mal — „und wieder hatte ich den Eindruck einer Novelle
ersten Ranges [...]. Recht krank inzwischen, doch wohl durch Carmen" (an
übersetzt „Lachend das Ernste sagen", ursprünglich als Motto auf dem Titel-
blatt von WA stehen haben. Im Brief an seinen Verleger Constantin Georg Nau-
mann vom 12. 08. 1888 veranlasst er eine Umstellung: „Auf dem Umschlag
wollen wir die Worte ridendo dicere severum weglassen, nachdem dieselben
auf dem Blatt, wo die Worte Turiner Brief stehen, eine schicklichere Stelle
gefunden haben." (KSB 8, Nr. 1089, S. 391, Z. 26-29) N. erläutert seine Wahl
des Mottos näher in EH WA 1, KSA 6, 357, 9-15: „Gesetzt aber, dass man derge-
stalt die Sache der Musik wie seine eigene Sache, wie seine eigene Leidens-
geschichte fühlt, so wird man diese Schrift voller Rücksichten und über die
Maassen mild finden. In solchen Fällen heiter sein und sich gutmüthig mit
verspotten — ridendo dicere severum, wo das verum dicere jede Härte rechtfer-
tigen würde — ist die Humanität selbst." Hanslick 1880, 145 f. berichtet davon,
dass bei der Aufführung der von N. so geschätzten Carmen Bizets (vgl. NK 11,
2-4) nach der Ermordung der Protagonistin „über dem Vorhang in goldenen
Lettern die Devise [...] ,Ridendo castigat mores"' zu lesen gewesen sei — über-
setzt: „Lachend züchtigt sie/er die Sitten".
13, 5-21 Ich hörte gestern — werden Sie es glauben? — zum zwanzigsten Male
Bizet's Meisterstück. Ich harrte wieder mit einer sanften Andacht aus, ich lief
wieder nicht davon. Dieser Sieg über meine Ungeduld überrascht mich. Wie ein
solches Werk vervollkommnet! Man wird selbst dabei zum „Meisterstück". — Und
wirklich schien ich mir jedes Mal, dass ich Carmen hörte, mehr Philosoph, ein
besserer Philosoph, als ich sonst mir scheine: so langmüthig geworden, so glück-
lich, so indisch, so sesshaft... Fünf Stunden Sitzen: erste Etappe der Heilig-
keit! — Darf ich sagen, dass Bizet's Orchesterklang fast der einzige ist, den ich
noch aushalte? Jener andere Orchesterklang, der jetzt obenauf ist, der Wagneri-
sche, brutal, künstlich und „unschuldig" zugleich und damit zu den drei Sinnen
der modernen Seele auf Einmal redend, — wie nachtheilig ist mir dieser Wagneri-
sche Orchesterklang! Ich heisse ihn Scirocco. Ein verdriesslicher Schweiss bricht
an mir aus. Mit meinem guten Wetter ist es vorbei.] In W II 6, 38 ist folgende
Variante dieses Passus überliefert: „Ich schildere jene Eindrücke, die ich oft
genug neben einander erlebte, die ich vergleichen konnte: den Eindruck, den
Bizet's Meisterstück, Carmen auf mich macht, und den einer Oper Wagners.
Bei ersterer harre ich mit einer sanften Andacht aus, bei letzterer laufe ich
davon..." (KSA 14, 402, vgl. auch NL 1888, KSA 13, 15[111], 471).
13, 5 f. Ich hörte gestern — werden Sie es glauben? — zum zwanzigsten Male
Bizet's Meisterstück.] Zu N.s Interesse an Bizet vgl. NK 11, 2-4. N. hat Bizets
Carmen wohl zum ersten Mal am 27. 11. 1881 in Genua gehört, Anfang Dezem-
ber 1881 zum zweiten Mal — „und wieder hatte ich den Eindruck einer Novelle
ersten Ranges [...]. Recht krank inzwischen, doch wohl durch Carmen" (an