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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0075
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56 Der Fall Wagner

geben. Stattdessen ergrünt der dürre Stab des Papstes, so dass Tannhäuser
erlöst sterben kann.
In der Wagner-Biographie von Ludwig Nohl, die N. im Frühjahr 1888 gele-
sen hat - vgl. NK KSA 6, 324, 8 f. u. N. an Köselitz, 20. 06. 1888, KSB 8,
Nr. 1049, S. 338 — heißt es zu diesem Ende: „Erst als eine menschliche Seele
die Kraft gewinnt, für sein Heil zu sterben, bricht sich der [sic] Ungestüm
seiner eigenen Natur und er [sc. Tannhäuser] findet Erlösung im Tode, das
Wesen der Religion bethätigend [sic], das Unwesen falscher Kirchenlehre ewig
von sich abweisend." (Nohl o. J., 35) Etwas ausführlicher notiert N. sein Urteil
über den Tannhäuser in NL 1887, KSA 12, 10[35], 473, 4-12 (korrigiert nach KGW
IX 6, W II 2, 117, 8-20): „— das Laster mit etwas entschieden Peinlichem so
verknüpfen, daß zuletzt man vor dem Laster flieht, um von dem loszukommen,
was mit ihm verknüpft ist. Dies ist der berühmte Fall Tannhäusers. Tannhäu-
ser, durch Wagnersche Musik um seine Geduld gebracht, hält es selbst bei
Frau Venus nicht mehr aus: mit Einem Male gewinnt die Tugend Reiz; selbst
eine Thüringische Jungfrau steigt im Preise; und um das Stärkste zu sagen, er
goutirt sogar die Weise Wolfram von Eschenbachs..."
17, 4-6 Oder dass selbst der ewige Jude erlöst wird, sesshaft wird, wenn er
sich verheirathet? (der Fall im Fliegenden Holländer)] Das Schicksal des Titelhel-
den der „Romantischen Oper in drei Aufzügen" Der Fliegende Holländer (1843),
der für seine Sünde ewig auf dem Meere umherirren muss, bis ihn eine Frau,
Senta (vgl. NK 15, 22 f.), durch ihre unbedingte Liebe erlöst, parallelisiert Wag-
ner mit der mittelalterlich-frühneuzeitlichen Legende vom Ewigen Juden, der
wegen seiner Verspottung Christi am Kreuzweg zu ewiger irdischer Wander-
schaft verdammt wurde. Die einschlägige Textstelle stammt aus der Mittheilung
an meine Freunde von 1851: „Die Gestalt des ,fliegenden Holländers' ist das
mythische Gedicht des Volkes: ein uralter Zug des menschlichen Wesens
spricht sich in ihm mit herzergreifender Gewalt aus. Dieser Zug ist, in seiner
allgemeinsten Bedeutung, die Sehnsucht nach Ruhe aus Stürmen des Lebens.
[...] Das irdisch heimathlose Christenthum faßte diesen Zug in die Gestalt des
,ewigen Juden': diesem immer und ewig, zweck- und freudlos zu einem längst
ausgelebten Leben verdammten Wanderer blühte keine irdische Erlösung; ihm
blieb als einziges Streben nur die Sehnsucht nach dem Tode, als einzige Hoff-
nung die Aussicht auf das Nichtmehrsein. Am Schlüsse des Mittelalters lenkte
ein neuer, thätiger Drang die Völker auf das Leben hin: weltgeschichtlich am
erfolgreichsten äußerte er sich als Entdeckungstrieb. Das Meer ward jetzt der
Boden des Lebens, aber nicht mehr das kleine Binnenmeer der Hellenenwelt,
sondern das erdumgürtende Weltmeer. Hier war mit einer alten Welt gebro-
chen; die Sehnsucht des Odysseus nach Heimath, Herd und Eheweib zurück,
hatte sich, nachdem sie an den Leiden des ,ewigen Juden' bis zur Sehnsucht
 
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