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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0077
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58 Der Fall Wagner

schließlich erlösen. Kundry führt die Figur des Ewigen Juden aus dem Fliegen-
den Holländer fort: Da sie ihre Erlösung im vergänglichen Augenblick der Sinn-
lichkeit sucht, ist sie zu ewiger Wanderschaft und Todlosigkeit verdammt.
Gemäß dem Ahasver-Mythos setzt ihr Fluch mit dem Verlachen der Leiden
Christi ein. Seither blieb ihr ein zwanghaftes Lachen gegenüber Leidenden (vgl.
ihren Monolog in Wagner 1907, 10, 360 f.). N. identifiziert Ende 1888 Malwida
von Meysenbug mit Kundry, siehe NK KSA 6, 364, 6-11 und N.s Brief an Köse-
litz, 25. 11. 1888, KSB 8, Nr. 1157, S. 489, Z. 45-47: „Neulich fiel mir ein, Malvida
an einer entscheidenden Stelle von ,Ecce homo' als Kundry vorzuführen,
welche lacht...".
17, 8-10 Oder dass schöne Mädchen am liebsten durch einen Ritter erlöst wer-
den, der Wagnerianer ist? (der Fall in den Meistersingern)] In der Oper Die
Meistersinger von Nürnberg (1868) soll Eva dem Sieger eines Sängerwettbe-
werbs zur Frau gegeben werden. Eva liebt Walther von Stolzing, der mit seinen
unkonventionellen Naturliedern über die Nürnberger Sängertradition den Sieg
davonträgt, weil Hans Sachs zu seinen Gunsten interveniert. Walther vertritt
kunstästhetische Positionen, die ihn durchaus als „Wagnerianer" erscheinen
lassen.
17, 10 f. Oder dass auch verheirathete Frauen gerne durch einen Ritter erlöst
werden? (der Fall Isoldens)] In der 1865 uraufgeführten Oper Tristan und Isolde
tritt Tristan für seinen Onkel, König Marke, als Brautwerber der irischen
Königstochter Isolde auf. Ein Zaubertrank lässt sie in gegenseitige Liebe zu-
einander verfallen, aus der es keinen irdischen Ausweg gibt: Der „Hauptstoff
des Tristan" liegt „in der Liebesqual, welcher die beiden Liebenden, nachdem
sie durch den Liebestrank über ihr Verhältnis aufgeklärt worden, zum Tode
verfallen sind: Tod durch Liebesnoth. Was im Siegfried ein Augenblick ent-
scheidender Heftigkeit ist, wird dort zu einem unendlich mannigfaltigen psy-
chologischen Vorgange, in den Wagner sogar das ganze tragische Wesen unse-
res Daseins hineingewebt hat, das ihn damals der große Philosoph
Schopenhauer als eine ,Wohlthat' hatte kennen lehren." (Nohl o. J., 58).
17, 11-14 Oder dass „der alte Gott", nachdem er sich moralisch in jedem
Betracht compromittirt hat, endlich durch einen Freigeist und Immoralisten erlöst
wird? (der Fall im „Ring")] Das Schicksal des alten Gottes Wotan in Wagners
Tetralogie Der Ring des Nibelungen (entstanden zwischen 1848 und 1874) hat
N. schon einmal, freilich mit ganz unpolemischer Akzentuierung in UB IV WB
11, KSA 1, 508, 9-509, 16 geschildert: „Im Ringe des Nibelungen ist der tragi-
sche Held ein Gott, dessen Sinn nach Macht dürstet, und der, indem er alle
Wege geht, sie zu gewinnen, sich durch Verträge bindet, seine Freiheit verliert,
und in den Fluch, welcher auf der Macht liegt, verflochten wird. Er erfährt
 
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