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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0089
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70 Der Fall Wagner

ßer Geist sich seine Flügel bindet und eine Virtuosität in etwas weit Geringe-
rem sucht, indem er dem Höheren entsagt' (dem Höheren d. h. der
religiösen Transcendenz; es ist klar, für diese nordischen Menschen war doch
Alles in Allem Klopstock der wahre Dichter und weiter als dieser konnten sie
es nicht bringen)." N. exzerpiert diese Stelle in NL 1888, KSA 13, 16[36], 496.
18, 31 f. in eine Klage ausbricht, welche Biterolf hätte absingen können] In
Richard Wagners Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg (1845) zeigt
sich Biterolf moralisch entrüstet über Tannhäusers sehr irdische Darstellung
der Liebe: „Für Frauenehr' und hohe Tugend / als Ritter kämpf' ich mit dem
Schwert" (2. Aufzug, 4. Szene). Wagners Tannhäuser, damit die Geschichte vom
unmoralischen Poeten, ist der intertextuell-satirische Bezug des Goethe-
Abschnitts, vgl. NK 18, 23-26 u. 19, 2-9.
19, 2-9 Vor Allem aber war die höhere Jungfrau empört: alle kleinen Höfe, alle
Art „ Wartburg" in Deutschland bekreuzte sich vor Goethe, vor dem „unsauberen
Geist" in Goethe. — Diese Geschichte hat Wagner in Musik gesetzt. Er erlöst
Goethe, das versteht sich von selbst; aber so, dass er, mit Klugheit, zugleich die
Partei der höheren Jungfrau nimmt. Goethe wird gerettet: — ein Gebet rettet ihn,
eine höhere Jungfrau zieht ihn hinan...] Der Passus beschließt N.s satirische
Engführung von Goethe und Wagners Tannhäuser-Figur (die hier namentlich
nicht genannt wird): Tannhäuser und Goethe erregen als Dichter der Sinnlich-
keit Ärgernis bei der höheren, sich moralisch überlegen dünkenden Gesell-
schaft — der eine am kleinen Hof in Weimar, der andere beim Landgraf von
Thüringen auf der Wartburg — auf jener Wartburg, wo Luther 1521/22 die Bibel
ins Deutsche übersetzte und wo Goethe nach Hehn 1888, 301 im September
1777 „einsame Tage" verlebte. Liest man, wie N. es hier vorschlägt, Wagners
Tannhäuser als die musikalische Umsetzung von Goethes Schicksal, so besteht
die Pointe darin, dass Wagner seinen Helden die Gnade der Erlösung finden
lässt — nach der Fürbitte der Jungfrau Elisabeth —, weil er am Ende nicht
zur Sinnlichkeit und zur Frau Venus zurückkehrt, sondern bei seiner Buße,
„moralisch" bleibt („Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden, / er geht nun
ein in der Seligen Frieden!" — Schlusszeilen 3. Aufzug, 3. Szene). Tannhäuser-
Goethe wird, so N.s Lesart, remoralisiert, indem Wagner „die Partei der höhe-
ren Jungfrau nimmt". Und N. belegt das mit einer Variation zu den Schlussver-
sen von Goethes Faust II: „Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan." Vgl. auch
die noch Goethe-freie Tannhäuser-Notiz NL 1887, KSA 12, 10[35], 473 (KGW IX
6, W II 2, 117, 8-20).
19, 4 „unsauberen Geist"] Vgl. den Quellennachweis in NK 18, 27-29.
19, 10 Was Goethe über Wagner gedacht haben würde?] Hat N. in 18, 19-19, 9
Goethe gleichsam mit den Augen Wagners gelesen, ihn nämlich in die Scha-
 
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