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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0115
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96 Der Fall Wagner

ner blitzt, donnert es im Festspielhause", heißt es in der deutschen Originalfas-
sung des Artikels in Lindau 1883, 4).
25, 6-10 Vor Allem aber wirft die Leidenschaft um. — Verstehen wir uns
über die Leidenschaft. Nichts ist wohlfeiler als die Leidenschaft! Man kann aller
Tugenden des Contrapunktes entrathen, man braucht Nichts gelernt zu haben, —
die Leidenschaft kann man immer!] Wagner verstand sich in seinem musikali-
schen Schaffen als Anwalt der Leidenschaft, die, so sagte er in der Nachfolge
Schopenhauers, Musik zum Ausdruck bringe: „Das, was die Musik ausspricht,
ist ewig, unendlich und ideal; sie spricht nicht die Leidenschaft, die Liebe, die
Sehnsucht dieses oder jenes Individuums in dieser oder jener Lage aus, son-
dern die Leidenschaft, die Liebe, die Sehnsucht selbst, und zwar in den unend-
lich mannigfaltigen Motivirungen, die in der ausschließlichen Eigenthümlich-
keit der Musik begründet liegen, jeder andern Sprache aber fremd und
unausdrückbar sind." (Wagner 1871-1873, 1, 183 = Wagner 1907, 1, 148) In der
Schrift über Das Judenthum in der Musik steht der bekannte Satz: „die Musik
ist die Sprache der Leidenschaft". (Es schadet nicht, das vielbemühte Zitat
in seinem antisemitischen Zusammenhang nachzulesen: „Macht nun die hier
dargethane Eigenschaft seiner Sprechweise den Juden fast unfähig zur künstle-
rischen Kundgebung seiner Gefühle und Anschauungen durch die Rede, so
muß zu solcher Kundgebung durch den Gesang seine Befähigung noch bei
weitem weniger möglich sein. Der Gesang ist eben die in höchster Leidenschaft
erregte Rede: die Musik ist die Sprache der Leidenschaft. Steigert der Jude
seine Sprechweise, in der er sich uns nur mit lächerlich wirkender Leiden-
schaftlichkeit, nie aber mit sympathisch berührender Leidenschaft zu erken-
nen geben kann, gar zum Gesang, so wird er uns damit geradesweges unaus-
stehlich." Wagner 1871-1873, 5, 92 = Wagner 1907, 5, 72) Das berüchtigte
antisemitische Pamphlet ist der Ort, an dem Wagner seine Gedanken über
die Leidenschaft besonders leidenschaftlich vorträgt, indem er den jüdischen
Musikern Leidenschaft abspricht und sie sich selbst ans Revers heftet: „Die
innerliche Erregung, die wahre Leidenschaft findet ihre eigenthümliche Spra-
che in dem Augenblicke, wo sie, nach Verständniß ringend, zur Mittheilung
sich anläßt: der in dieser Beziehung von uns bereits näher charakterisirte Jude
hat keine wahre Leidenschaft, am allerwenigsten eine Leidenschaft, welche
ihn zum Kunstschaffen aus sich drängte. Wo diese Leidenschaft nicht vorhan-
den ist, da ist aber auch keine Ruhe anzutreffen: wahre, edle Ruhe ist nichts
Anderes, als die durch Resignation beschwichtigte Leidenschaft. Wo der Ruhe
nicht die Leidenschaft vorangegangen ist, erkennen wir nur Trägheit: der
Gegensatz der Trägheit ist aber nur jene prickelnde Unruhe, die wir in jüdi-
schen Musikwerken von Anfang bis zu Ende wahrnehmen, außer da, wo sie
jener geist- und empfindungslosen Trägheit Platz macht. Was so der Vornahme
 
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