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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0128
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Stellenkommentar WA 7, KSA 6, S. 27 109

rig-Schmidt 1988, 439 f. und Müller-Lauter 1999b, 2 f. Auffällig ist, dass N. den
politischen und sozialen Kontext von Bourgets Dekadenzanalyse hier ausblen-
det und sich auf die Literatur konzentriert, so sehr eine entsprechende poli-
tisch-soziale Ausweitung seiner Wagner-Kritik, zumal mit der von Bourget
gegebenen biologisch-organologischen Metaphorik, auf N.s Linie gelegen
hätte.
27, 23 Anarchie der Atome) Auch Bourget 1883, 25 spricht zur Kennzeichnung
der decadence von Anarchie, allerdings ohne die Einzelteile als Atome zu
bezeichnen, siehe NK 27, 17-22. Liebmann 1882, 104 f. (Lesespuren N.s, vgl.
NPB 356) bezeichnet den Atomismus als Anarchismus. Vgl. NK KSA 6, 78, 5-
11.
27, 24 „Freiheit des Individuums"] Die „Freiheit des Individuums" ist eine der
Grundforderungen der Aufklärung und der Französischen Revolution, wobei
die Frage unterschiedlich beantwortet wurde, wo denn diese Freiheit ihre Gren-
zen habe. N. diskutiert die politisch-soziale Freiheitsproblematik gelegentlich
(vgl. z. B. NK KSA 6, 59, 9 f.), während er das alte metaphysische Problem der
Willensfreiheit für das Resultat einer falschen Wirklichkeitsperspektivierung
hält (vgl. NK KSA 6, 95, 10). In GD Streifzüge 38, KSA 6, 139, 5-140, 24 will er
einen eigenen „Begriff von Freiheit" (KSA 6, 139, 6) entwerfen, der sich
gegen die im Zuge des aufklärerisch-liberalen Freiheitsbegriffs angeblich
unvermeidliche „Heerden-Verthierung" (KSA 6, 139, 16) wendet. Auch
bei Wagner wird in Oper und Drama die „Freiheit des Individuums" expressis
verbis diskutiert, und zwar im Horizont der Frage, ob der Dichter sich gegen-
über dem Musiker oder der Musiker sich gegenüber dem Dichter zu beschrän-
ken habe: „Die Freiheit des Individuums hat bisher nur in einer — weisen —
Beschränkung nach Außen möglich geschienen: Mäßigung seiner Triebe, somit
der Kraft seines Vermögens war die erste Anforderung der staatlichen Gemein-
samkeit an den Einzelnen. Die volle Geltendmachung einer Individualität
mußte als gleichbedeutend mit der Beeinträchtigung der Individualität Ande-
rer angesehen werden, und Selbstbeschränkung der Individualität war dage-
gen höchste Tugend und Weisheit. — Genau genommen war diese, vom Weisen
gepredigte, von Lehrdichtern besungene, vom Staate endlich als Unterthans-
pflicht, von der Religion als Pflicht der Demuth geforderte Tugend eine niemals
vorhandene, gewollte — aber nicht ausgeübte, gedachte — aber nicht verwirk-
lichte; und so lange eine Tugend gefordert wird, wird sie in Wahrheit auch
nicht ausgeübt werden. Die Ausübung dieser Tugend war entweder eine despo-
tisch erzwungene — somit also ohne das Verdienst der Tugend, wie es gedacht
wurde; oder sie war eine nothwendig freiwillige, unreflektirte, und dann war
die ermöglichende Kraft nicht der selbstbeschränkende Wille, sondern — die
 
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