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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0136
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Stellenkommentar WA 7, KSA 6, S. 28 117

Unterlage von Kalk an Wandflächen ausgeführt wird." (Meyer 1885-1892, 6,
672).
28, 31-29, 15 Was gehtuns die agagante Brutalität der Tannhäuser-Ouvertüre
an? Oder der Circus Walküre? Alles, was von Wagner's Musik auch abseits vom
Theater populär geworden ist, ist zweifelhaften Geschmacks und verdirbt den
Geschmack. Der Tannhäuser-Marsch scheint mir der Biedermännerei verdächtig;
die Ouvertüre zum fliegenden Holländer ist ein Lärm um Nichts; das Lohengrin-
Vorspiel gab das erste, nur zu verfängliche, nur zu gut gerathene Beispiel dafür,
wie man auch mit Musik hypnotisirt (- ich mag alle Musik nicht, deren Ehrgeiz
nicht weiter geht als die Nerven zu überreden). Aber vom Magnetiseur und
Affresco-Maler Wagner abgesehn giebt es noch einen Wagner, der kleine Kostbar-
keiten bei Seite legt: unsern grössten Melancholiker der Musik, voll von Blicken,
Zärtlichkeiten und Trostworten, die ihm Keiner vorweggenommen hat, den Meis-
ter in Tönen eines schwermüthigen und schläfrigen Glücks... Ein Lexikon der
intimsten Worte Wagner's, lauter kurze Sachen von fünf bis fünfzehn Takten,
lauter Musik, die Niemand kennt... Wagner hatte die Tugend der decadents,
das Mitleiden — — —] KSA 14, 406 teilt dazu aus W II 6, llO f. folgende
Aufzeichnung unter dem Titel „Personal-Meinungen über den
Geschmack der Wagnerschen Musik" mit: „Alles, was von Wagner
auch abseits vom Theater populär geworden ist, ist Musik zweifelhaften
Geschmacks und verdirbt den Geschmack. Gegen die agagante Brutalität der
Tannhäuser-Ouvertüre setze ich mich heute noch ebenso zur Wehr, wie ich es
als Knabe that: ich werde dabei zum aesthetischen Igel und stecke alle Stachel
aus mir ein, will sagen stachlicht / Zu allen diesen älteren Werken Wagner's
wußte ich keinen Zugang zu gewinnen: irgend etwas hat mich gewarnt, zu
einem solchen Geschmack zu condescendiren. ,Das ist Theatermusik, das geht
dich nichts an' — sagte ich mir mit dreizehn Jahren schon. Wagner wurde
bei mir erst möglich durch seinen Tristan; und bewiesen erst durch die
Meistersinger. Ich denke, dergestalt ist es vielen ergangen... // In meiner Jugend
war die große Cultur Mendelssohns obenauf: von ihr aus lernten wir eine
außerordentliche Vorsicht gegen Vulgarität und Anmaßung in rebus musicis et
musicantibus... // Wir haben Wagnern in dem Maße nachgegeben, als er durch
seine Mittel uns Vertrauen einflößte, als er uns weniger Schauspieler
erschien: — er hatte ein Instinkt-Vorurtheil gegen seine Theater-Pathologie und
-Sensibilität in uns überwunden. Das Gegentheil zu behaupten, nämlich daß
die Wagnerische Sensibilität sogar spezifisch und [-] deutsch sei, blieb
den Treuesten unter seinen Verehrern Getreuen aufgespart... // Aber wir Deut-
schen hatten damals noch keinen Begriff davon, daß auch die Musik ihre
Schauspieler haben kann: ich fürchte, wir haben uns mit Händen und Füßen,
was sage ich? mit Gründen gewehrt... Wenn wir Wagnern allmählich — ah sehr
 
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