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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0144
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Stellenkommentar WA 8, KSA 6, S. 30 125

Gedichte, die einander so fremd sind, dort von allen Punkten des Horizonts
stammen. Sie glauben, ein Singen, Läuten, Vibrieren in Ihren Ohren zu hören,
von den Lyras, den Flöten, den Signalhörnern, Zimbeln und den Schiffshör-
nern, von allen Instrumenten, aus denen es dem Meister gefallen hat, diese
erstaunliche Musik zu machen, diese verwirrende und prachtvolle Orchestrie-
rung, die für ihn einzigartig ist. [...] Wo ist der rote Faden, der unsere Schritte
in diesem Labyrinth führen wird, wo die hallenden Echos von überall kom-
men, wo sich die wandelnden Erscheinungsformen vor unseren Augen stetig
zeigen, bloß um gleich wieder zu entschwinden, wo sich Prachtstraßen und
Fußpfade auf verschlungenen Wegen kreuzen, und uns ohne Unterlass immer
an den Punkt zurückbringen, von dem wir kommen").
30, 24-26 Musik dürfe unter Umständen nicht Musik, sondern Sprache, son-
dern Werkzeug, sondern ancilla dramaturgica sein] Die lateinische Wendung
„ancilla dramaturgica", übersetzt „dramaturgische Magd" scheint N. erfunden
zu haben, um damit die Unterjochung der Musik unter die Schauspielerei zu
bezeichnen. Die Wendung spielt an auf die mittelalterliche Vorstellung, die
Philosophie sei eine ancilla theologiae, eine Magd der Theologie (Petrus Dami-
ani: De omnipotentia 6). N. hatte diese Vorstellung bereits in GT 14, KSA 1, 94,
7 f. namhaft gemacht.
30, 32-31, 4 welche Magie selbst noch mit einer aufgelösten und gleichsam
elementarisch gemachten Musik ausgeübt werden kann. Sein Bewusstsein
davon geht bis in's Unheimliche, wie sein Instinkt, die höhere Gesetzlichkeit, den
Stil gar nicht nöthig zu haben. Das Elementarische genügt — Klang, Bewe-
gung, Farbe, kurz die Sinnlichkeit der Musik] Gesprächsweise hat Wagner, wie
aus Cosimas Tagebüchern hervorgeht, auf das „Elementarische" Wert gelegt,
und zwar für die Vorspiele, wie es am 31. Oktober 1878 heißt: „,Meine Vorspiele
müssen alle elementarisch sein, nicht dramatisch wie die Leonoren-Ouvertüre,
denn dann ist das Drama überflüssig.'" (C. Wagner 1988, 3, 214, Fn.) Am glei-
chen Tag spielte Wagner Cosima das Parsifal-Vorspiel auf dem Klavier vor: „Wie
die Klage eines erloschenen Sternes klingt der Beginn, worauf wie Gebärden
nur man das mühevolle Wandern und das Erlösungs-Flehen der Kundry
erschaut. Es ist, als ob dies gar nicht gesungen werden könnte und nur ,das
Elementarische' hier wirke, wie R. dies auch betont." (Ebd., 215) Das Elementa-
rische spielt bei Wagner auf die Naturgewalten an (vgl. auch Wagner 1907, 3,
53; Wagner 1907, 4, 101 spricht von „Mutterelement"); im Laufe des Dramas
selbst soll dieses Elementarische dann gebändigt und in dramatisch-musikali-
sche Form gebracht werden. N.s Gegenrede besagt nun, dass Wagners Musik
beim Elementarischen, bei der „Sinnlichkeit" bleibe und eben weder Stil noch
Form finde. „Elementarisch" bedeutet bei N. gegen Wagner die Auflösung in
 
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