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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0148
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Stellenkommentar WA 8, KSA 6, S. 31 129

alle Augen auf uns gerichtet sind; nichts würde unsere Situation mehr bloßstel-
len. Kürzlich noch spielte ich in Menschenhass und Reue mit einer bewunderns-
werten Schauspielerin; ihr Spiel war so überlegt und dennoch so natürlich und
so real, dass es mich mitriss. Sie bemerkte es. Was für ein Triumph! Und trotz-
dem flüsterte sie mir zu: / <Passen Sie auf, Talma, Sie sind gerührt!» Denn
aus dem Gefühl entsteht tatsächlich die Verwirrung; die Stimme versagt, das
Gedächtnis fehlt, die Gesten sind falsch, der Effekt ist zerstört! Ah! wir sind
nicht die Natur, wir sind nur die Kunst, die nichts Anderes tun kann, als versu-
chen, die Natur nachzuahmen.'") Talma spielte den Orest in Jean Racines
Andromaque. Misanthropie et Repentir ist eine französische Bearbeitung von
August von Kotzebues Schauspiel Menschenhaß und Reue (1789), die Talma
zusammen mit Mlle Mars (eigentlich Anne-Frangoise-Hippolyte Boutet, 1779-
1847) 1823 auf die Bühne brachte. Mit der „admirable actrice" ist Mlle Mars
gemeint.
31, 14-16 Wagner's Musik ist niemals wahr. / — Aber man hält sie dafür:
und so ist es in Ordnung. — ] Vgl. Bellaigue 1885, 462: „Qu'y a-t il donc de vrai
chez lui [sc. Wagner]? Ses poemes? La Legende du Saint-Graal ou les Regles de
la tabelature? Il nous parle de verite: mais ses livrets sont des enigmes ou des
niaiseries, ses heros des pantins. Et son heroine, l'Eva des Maitres-Chanteurs?
Je ne crois pas qu'il existe pour une femme un röle plus ingrat, plus depourvu
de gräce et de tendresse que celui de cette poupee de Nuremberg." („Was ist
eigentlich wahr bei ihm [sc. Wagner]? Seine Gedichte? Die Legende des heiligen
Graal oder die Regeln der Tabulatur? Er spricht uns von Wahrheit: aber seine
Büchlein sind entweder Rätsel oder Albernheiten, seine Helden sind Hampel-
männer. Und seine Heldin, die Eva aus den Meistersingern? Ich glaube nicht,
dass es für eine Frau eine undankbarere Rolle bar jeder Grazie und jeglicher
Zärtlichkeit gibt, als die Rolle dieser Puppe von Nürnberg.") Und ebd., 463:
„Non votre art n'est pas plus vrai que le nötre, mais il est plus laid. Cette
musique des Maitres-Chanteurs n'est pas seulement ennuyeuse, elle est laide."
(„Nein, Ihre Kunst ist auch nicht wahrer als unsere, aber sie ist hässlicher.
Diese Musik der Meistersinger ist nicht nur langweilig, sie ist auch hässlich").
31, 20 f. Man bewundert an ihm, was junge Franzosen an Victor Hugo bewun-
dern, die „königliche Freigebigkeit."] Vgl. NK 30, 21-23. Das Motiv der „königli-
chen Freigebigkeit" bemüht N. erstmals in NL 1881, KSA 9, 12[34], 582, 4-9,
und zwar im Zusammenhang mit einer Kritik an der Projektionskraft des Men-
schen, der sich Dinge ausgedacht und mit höchster Würde bekleidet habe, um
sich dann selbst vor ihnen klein zu machen: „Der Mensch als Dichter, als
Denker, als Gott, als Macht, als Mitleid. O über seine königliche Freigebigkeit,
womit er die Dinge beschenkt hat, um sich zu verarmen und elend zu
 
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