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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0152
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Stellenkommentar WA 9, KSA 6, S. 32 133

Cosima Wagner hingegen schrieb an N. nach der Lektüre von dessen Vor-
trag Socrates und die Tragödie am 05. 02. 1870: „Indem ich nochmals Ihre
Äusserung las dass die Dialektik die Tragödie zersetzt habe, gedachte ich der
letzten Sprösslinge dieser Dialektik, der Tragödien Racine's und Corneille's [...].
Bei den Deutschen aber bereitet sich sogleich das Kunstwerk der Zukunft; es
schimmert mir förmlich aus Schiller's Dichtungen entgegen, und dass Beetho-
ven den Hymnus an die Freude komponirt hat ist ein göttlicher Wegweiser
zu -was wir wissen." (KGB II 2, Nr. 72, S. 139 f., Z. 46-54) Noch in GD Das
Problem des Sokrates 5, KSA 6, 69, 26 wird die Dialektik als Hauptwaffe des
Sokrates gegen „vornehme[n] Geschmack" verstanden; aber natürlich gilt
Corneille zeitgleich in WA nicht mehr als dialektisch angekränkelt und damit
der Unvornehmheit verdächtig.
32, 16 „das Eine, was noth thut"] Anspielung auf das Jesus-Wort in Lukas 10,
42, vgl. NK KSA 6, 217, 17. N. hatte unter die Überschrift „Das Eine, was
Noth thut" einen Aphorismus gesetzt: „Eins muss man haben: entweder
einen von Natur leichten Sinn oder einen durch Kunst und Wissen erleichterten
Sinn." (MA I 486, KSA 2, 317) Letzteres kann Wagners Werk gerade nicht leis-
ten, so dass man des Ersteren bedarf, um gegen dieses Werk gewappnet zu
sein.
32, 19-22 Er sucht sich selbst zuerst die Wirlaing seines Werkes zu garantiren,
er beginnt mit dem dritten Akte, er beweist sich sein Werk mit dessen letzter
Wirkung.] Vgl. NK 32, 23-28.
32, 23-28 [Anmerkung] Es ist ein wahres Unglück für die Aesthetik gewesen,
dass man das Wort Drama immer mit „Handlung" übersetzt hat. Nicht Wagner
allein irrt hierin; alle Welt ist noch im Irrthum; die Philologen sogar, die es besser
wissen sollten. Das antike Drama hatte grosse Pathosscenen im Auge — es
schloss gerade die Handlung aus (verlegte sie vor den Anfang oder hinter die
Scene).] Schon in GT 8, KSA 1, 62 hatte N. (gegen Aristoteles' Bestimmung der
Tragödie in der Poetik) betont, dass der „tragische Chor [...] älter, ursprüngli-
cher, ja wichtiger sein sollte, als die eigentliche ,Action'" und dies als gesi-
cherte Überlieferung ausgegeben. Von einer derart gesicherten Überlieferung
kann allerdings keine Rede sein (vgl. NK KSA 1, 62, 22-27). Dass auch beim
Pathos sich die Bestimmung direkt gegen Aristoteles richtet, erhellt eine
Bemerkung aus der Vorbereitung von WA: „Was das tragische Pathos angeht,
so nimmt Nietzsche nicht das alte Mißverständniß des Aristoteles wieder auf —"
(NL 1888, KSA 13, 14[33], 234 = KGW IX 8, W II 5, 174, 18-28), ohne dass da
stünde, worin genau das Missverständnis besteht. In der Vorlesung zur
Geschichte der griechischen Litteratur (1874/75) hatte N. bei der attischen Tragö-
die ein Hauptgewicht auf den Pathosszenen feststellen wollen — und damit
 
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