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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0155
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136 Der Fall Wagner

die Personen als handelnde (öpwvTag), erscheinen lassen. Auf die Benennung
gründen die Dorier den Anspruch, die Tragödie und Komödie erfunden zu
haben [...]: /5/ Dies bekunde sich, sagen sie, in der Benennung; bei ihnen
nämlich würden die umliegenden Ortschaften Komen (Kwpat), bei den Athe-
nern aber Demen (öfjpot) genannt [...]; bei ihnen ferner heisse das Handeln
Öpdv, bei den Athenern dagegen npdTTEiv." (Aristoteles 1869, 4 f.) N.s Etymolo-
gie richtet sich also gerade gegen die von Aristoteles suggerierte Bedeutungs-
gleichheit des dorischen Öpdv mit dem athenischen npdTTEiv, nämlich mit
„handeln", „tun". Bereits in der Geburt der Tragödie hat N. sich rigoros von
der Tragödientheorie des Aristoteles distanziert, so wenig er sich zu dieser
Distanzierung damals auch explizit bekannte. In 32, 28-33 ist wiederum Aristo-
teles der eigentliche, aber ungenannte Gegner, wobei offen bleibt, woher sich
N.s vorgeblich besseres Wissen über den dorischen Sprachgebrauch denn
eigentlich speist. NL 1876/77, KSA 8, 23[74], 427, 15-23 präludiert die in WA 9
aufgestellte Behauptung, ohne freilich schon die Dorer zu bemühen oder
Belege beizubringen: „Die jetzigen Dramatiker gehen häufig von einem fal-
schen Begriff des Dramas aus und sind Drastiker: es muß bei ihnen um
jeden Preis geschrieen gelärmt geschlagen geschossen getödtet werden. Aber
,Drama' bedeutet ,Ereigniß' factum, im Gegensatz zum fictum. Nicht einmal
die historische Ableitung des griechischen Wort-Begriffs giebt ihnen Recht. Die
Geschichte des Dramas aber erst recht nicht; denn der Darstellung des Drasti-
schen gehen die Griechen gerade aus dem Wege." In dem von N. benutzten,
damaligen Griechisch-Standardwörterbuch von Franz Passow findet sich jeden-
falls für N.s alternativen Übersetzungsvorschlag keinerlei Anhaltspunkt: Für
öpdw (öpdv) weiß es trotz zahlreicher Beispiele aus der griechischen Literatur
schlicht nur die Grundbedeutungen „thun, thätig seyn; bes. als Diener arbeiten
u. aufwarten" zu vermeiden (Passow 1841, 1/1, 722), für Öpdpa nur „That, Hand-
lung", allenfalls nach Aischylos: Agamemnon 533 „das Geschäft, das Einer voll-
zieht" (Passow 1841, 1/1, 721). In seiner Vorlesung vom Sommersemester 1870,
Einleitung in die Tragödie des Sophocles, war N. noch bei diesem alten Ver-
ständnis von Öpdv als „handeln" geblieben, um jedoch bereits das in 32, 26-
28 gleichfalls betonte Pathos-Interesse herauszustellen: „weil man das ndOoq
hören, nicht das Öpdv sehen wollte, beschränkte man sich, da man das öpdv
sehen mußte, um das ndOoq zu hören, auf das geringste Maß des öpdv. So
entstand zwischen ndOog und öpdv ein scharfgespanntes Verhältniß wie von
Folge und Ursache: das öpdv geschah nur so weit, um das ndOog zu erklären"
(KGW II 3, 22, 34-23, 6; ähnlich in KGW II 5, 83, 24-30).
Zu jenen „Halbgelehrten" in NL 1888, KSA 13, 14[34], 235 (KGW IX 8, W II
5, 175, 29-36) müsste auch Wagner gerechnet werden, der im Aufsatz Über die
Benennung „Musikdrama" (1872) zwar seinerseits den kultischen Kontext der
 
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