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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0157
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138 Der Fall Wagner

auf den Ausdruck Öpapa berufen; denn wenn auch das Zeitwort Öpav der dori-
schen Mundart besonders geläufig sein mochte, so gehört es ihr doch nicht
ausschliesslich an." (Ebd., 7, Fn. 12) Karl Otfried Müller hat in seinem berühm-
ten Werk Die Dorier von 1824 zwar ausführlich die teilweise dorischen
Ursprünge von Komödie und Tragödie besprochen (Müller 1824, 2, 349-370),
aber die von N. vorgeschlagene Etymologie von „Drama" gleichfalls nicht ver-
treten. Schließlich leitet Rudolf Nicolai in seiner von N. benutzten Geschichte
der gesammten griechischen Literatur Öpapa zwar auch vom angeblich dori-
schen öpav ab, versteht es aber als „Darstellung einer Handlung durch Poesie,
Musik und Mimik" (Nicolai 1867, 82).
In N.s Lektürehorizont im Umfeld von WA gehören Bourgets Nouveaux
Essais, in denen er die seiner Ansicht nach falsche Etymologie des Wortes
„Drama" ebenfalls fand: „Les Goncourt ont donc augmente dans leurs livres
ces pages descriptives, et ils ont reduit de leur mieux la portion reservee ä
l'intrigue, ä ce que le langage appelle du mot tres bien choisi de drame. Le
drame, en effet, comme l'indique l'etymologie, c'est de l'action, et l'action
n'est /166/ jamais un tres bon signe de moeurs. Ce qui est significatif dans un
homme, ce n'est pas l'acte qu'il accomplit ä tel moment de crise aigue et passi-
onnee, ce sont ses habitudes de chaque jour, lesquelles indiquent non pas une
crise, mais un etat. On eclairerait d'une forte lumiere bien des discussions de
litterature si l'on etudiait avec soin cette antithese des etats et des actions."
(Bourget 1886, 165 f.; von N. Unterstrichenes kursiviert; Anstreichungen am
Rand; auf der Höhe der letzten Zeile von S. 165 von N.s Hand die Marginalie
„nein!" [?], S. 166 die Marginalie „gut". „Die Goncourts haben nun in ihren
Büchern diese beschreibenden Anteile vergrößert und sie haben die Teile mög-
lichst reduziert, die der Handlung, dem, was die Sprache mit dem passenden
Wort Drama bezeichnet, vorbehalten war. In der Tat ist das Drama, wie es
die Etymologie anzeigt, eine Handlung, und eine Handlung ist niemals sehr
signifikant für die Sitten. Das Signifikante bei einem Menschen sind nicht die
Handlungen, die er in einem Moment der tiefen und leidenschaftlichen Krise
begeht, es sind die täglichen Gewohnheiten, die eben nicht eine Krise anzeigen,
sondern einen Zustand. Man würde viel Licht in Literaturdiskussionen bringen,
wenn man diesen Gegensatz zwischen Zuständen und Handlungen mit größter
Sorgfalt studieren würde." Vgl. auch Laks 1989).
Bemerkenswert ist schließlich, dass N.s eigentümliches, nicht durch Quel-
len beglaubigtes Verständnis von „Drama" in der Theaterreflexion des 20. Jahr-
hunderts unerwartet Karriere gemacht hat. In seinem Versuch über das Theater
schreibt Thomas Mann: „Alle Welt übersetzt ,Drama' mit ,Handlung': unsere
ganze Ästhetik des Dramas beruht auf dieser Übersetzung. Trotzdem ist sie
vielleicht ein Irrtum. Ein Philologieprofessor hat mich darüber belehrt, daß
 
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