Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0160
Lizenz: In Copyright

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar WA 9, KSA 6, S. 33 141

gilt vom wahren „Homo poeta", dessen Knoten kaum lösbar ist, siehe FW 153,
KSA 3, 496.
33, 16-22 Er liebte das Wort „Drama": das ist Alles — er hat immer die schönen
Worte geliebt. Das Wort „Drama" in seinen Schriften ist trotzdem bloss ein Miss-
verständniss (—und eine Klugheit: Wagner that immer vornehm gegen das Wort
„Oper" —); ungefähr wie das Wort „Geist" im neuen Testament bloss ein Missver-
ständniss ist.] Die Zurückhaltung Wagners gegenüber der Oper ist schon in
Oper und Drama (1850/51) greifbar.
Der im Neuen Testament — namentlich bei Paulus — inflationär
gebrauchte Geist-Begriff gibt N. in NL 1887, KSA 12, 9[50], 360, 17-24 (korrigiert
nach KGW IX 6, W II 1, 106, 29-34, im Folgenden ohne durchgestrichene Passa-
gen wiedergegeben) zu sozialgeschichtlichen Überlegungen über das frühe
Christentum Anlass: „Leute niedrigster Herkunft, zum Theil Gesindel, die Aus-
gestoßenen nicht nur der guten, sondern auch der achtbaren Gesellschaft,
abseits selbst vom Gerüche der Cultur aufgewachsen, ohne Zucht, ohne Wis-
sen, ohne jede Ahnung davon, daß es in geistigen Dingen Gewissen geben
könnte (das Wort ,Geist' (kommt) immer nur als Mißverständniß vor: was alle
Welt ,Geist' nennt, ist diesem Volke immer noch ,Fleisch')". Das Thema der
christlichen Inanspruchnahme von „Geist" bei dessen gleichzeitiger Abwesen-
heit streift N. auch in AC 15, KSA 6, 181, 13 u. AC 29, KSA 6, 200, 11-13 („Unser
ganzer Begriff, unser Cultur-Begriff ,Geist' hat in der Welt, in der Jesus lebt,
gar keinen Sinn").
33, 29-34, 2 Ein ganzer Akt ohne Weiberstimme — das geht nicht! Aber die
„Heldinnen" sind im Augenblick alle nicht frei. Was thut Wagner? Er emancipirt
das älteste Weib der Welt, die Erda: „herauf, alte Grossmutter! Sie müssen sin-
gen!" Erda singt. Wagner's Absicht ist erreicht. Sofort schafft er die alte Dame
wieder ab. „Wozu kamen Sie eigentlich? Ziehn Sie ab! Schlafen Sie gefälligst
weiter!"] Gemeint ist die Beschwörung der Urmutter und Erdgöttin Erda in Sieg-
fried (3. Aufzug, 1. Szene): „Aus langem Schlafe / weck' ich dich schlummernde
wach. / Ich rufe dich auf: / herauf! herauf! / Aus nebliger Gruft, / aus
nächt'gem Grunde herauf! / Erda! Erda! / Ewiges Weib!" (Wagner 1871-1873, 6,
213 = Wagner 1907, 6, 152) Danach entlässt der Wanderer alias Wotan Erda
wieder mit den Worten: „Du bist — nicht / was du dich wähn'st! / Urmütter-
Weisheit / geht zu Ende: / dein Wissen verweht / vor meinem Willen. / Weißt
du, was Wotan — will? / Dir unweisen / ruf' ich's in's Ohr, / daß du sorglos
ewig nun schläfst. [...] Hinab denn, Erda! / Urmütter-Furcht! / Ur-Sorge! / Zu
ewigem Schlaf / hinab! hinab!" (Wagner 1871-1873, 6, 218-220 = Wagner 1907,
6, 156 f.). Diese Szene hat für die Handlung des Rings durchaus eine wichtige
Funktion: Wotan stellt Erda, welche ihm das Ende der Götter durch den Sohn
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften