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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0161
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142 Der Fall Wagner

Alberichs (Hagen) verkündet hat, vor seiner bevorstehenden Begegnung mit
Siegfried auf die Probe und erfährt, dass ihre Deutung seines Willens falsch
ist, womit auch ihre Voraussagen fehl gehen: Sie wirft ihm, dem „störrische[n]
Wilde[n]", noch die Hybris seines unablässigen Machtwillens vor, als Wotan in
seiner Resignation längst sein eigenes Ende beschlossen hat und nunmehr als
„Wanderer" den Dingen seinen Lauf lässt. Diese freie Selbstverneinung, als
dem Gang der Natur widersprechend, hebt die Notwendigkeit des Weltverlaufs
auf und die Weisheit Erdas, welche nicht mehr versteht, was sie sieht, ist zu
Ende — dementsprechend reißt auch das Seil der Nornen zu Beginn der Götter-
dämmerung im Versuch, die Zukunft vorherzusagen.
34, 4 f. ihr mythischer Gehalt] Wagner betonte im Blick auf die Vergangenheit,
dass „zu jeder Zeit, wo Mythus und Religion im lebendigen Glauben eines
Volksstammes lebten, das besonders einigende Band gerade dieses Stammes
immer nur in eben diesem Mythus und eben dieser Religion gelegen" habe
(Wagner 1871-1873, 3, 156 = Wagner 1907, 3, 131, vgl. auch die bei Glasenapp /
Stein 1883, 521-524 mitgeteilten Stellen). Die Wiedererschaffung eines eigenen
Mythos mit modernen Mitteln, von dem er sich eine kulturelle Erneuerung
erhoffte, gehörte zu Wagners künstlerischen Leitvorstellungen, mit denen er
an die Frühromantik anknüpfte. Entsprechend wird der Künstler in den Dienst
des Mythos genommen: „Wollen wir nun das Werk des Dichters nach dessen
höchstem denkbarem Vermögen genau bezeichnen, so müssen wir es den
aus dem klarsten menschlichen Bewußtsein gerechtfertig-
ten, der Anschauung des immer gegenwärtigen Lebens ent-
sprechend neu erfundenen, und im Drama zur verständlich-
sten Darstellung gebrachten Mythos nennen." (Wagner 1871-1873,
4, 109 = Wagner 1907, 4, 88) N. wiederum sekundierte in der Geburt der Tragö-
die Wagners Anliegen, indem er einerseits dem „tragische[n] Mythus" (GT
Versuch einer Selbstkritik 1, KSA 1, 12, 21) auf die Schliche kommen, ihn ande-
rerseits in der Moderne etwa durch die Musik erneuern wollte (vgl. z. B. NL
1871, KSA 7, 9[92], 308, 9-14 u. Sommer 1997, 76-80). Spätestens mit Menschli-
ches, Allzumenschliches kündigte N. freilich dem Glauben an die Erneuerungs-
bedürftigkeit des als sinngebend verstandenen Mythos die Gefolgschaft und
unterwarf auch die impliziten Mythen der Neuzeit („Götzen") einer Fundamen-
talkritik. Die Prüfung des empirischen „Gehaltes" mythologischer Vorstellun-
gen wird in dieser Entlarvungsabsicht mit der Metapher des Chemikers ange-
kündigt (34, 6 f.).
34, 12 f. mit Gymnasialbildung (— letztere als unentbehrlich zur reinen
Thorheit)] Wagners Parsifal ist zwar der Held, der aus reiner Torheit die Welt
erlöst; ihm ist aber eine deutsche Gymnasialbildung erspart geblieben, die N.
 
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