164 Der Fall Wagner
das Ende des Christentums verzögert hätten. In GD Was den Deutschen abgeht,
KSA 6, 103-110 sowie EH WA 4, KSA 6, 362-364 rechnet er den Deutschen ihre
kulturelle Inferiorität vor. Die These von der historischen Entwicklungsverzöge-
rung in Deutschland, die N. im Bereich der Kultur, der Religion, der Wissen-
schaft diagnostiziert, wird im 20. Jahrhundert auf die politische Geschichte
übertragen und kulminiert in Helmuth Plessners Darstellung der „verspäteten
Nation" (Die verspätete Nation, Stuttgart 1959).
41, 17-23 u. 42, 1-2 Es geschah beim Begräbnisse Wagner's, dass der erste
deutsche Wagner-Verein, der Münchener, an seinem Grabe einen Kranz nieder-
legte, dessen Inschrift sofort berühmt wurde. „Erlösung dem Erlöser!" — lau-
tete sie. Jedermann bewunderte die hohe Inspiration, die diese Inschrift diktirt
hatte, Jedermann einen Geschmack, auf den die Anhänger Wagner's ein Vorrecht
haben; Viele aber auch (es war seltsam genug!) machten an ihr dieselbe kleine
Correctur: „Erlösung vom Erlöser!" — Man athmete auf.] Vgl. NK 15, 2, zum
Begriff des Erlösers NK KSA 6, 198, 32. „Höchsten Heiles Wunder: / Erlösung
dem Erlöser!", lauten die Schlussworte von Wagners Parsifal (Wagner 1907, 10,
375). Als Begräbnis-Nachruf auf Wagner — er wurde am 18. 02. 1883 in Bay-
reuth bestattet — wird der ,„fromme[.]‘ Wunsch[.]: ,Erlösung dem Erlöser!"'
schon in NL 1885, KSA 11, 41[2]6, 673, 15 f. (KGW IX 4, W I 5, 34, 26) ausge-
drückt, um dann in NL 1888, KSA 13, 14[52], 243 (KGW IX 8, W II 5, 161) mit
dem Kranz des Münchner Wagner-Vereins assoziiert zu werden. In Za II Von
den Priestern kommt die Umkehrung der Formel schon vor: „Ach dass Einer
sie noch von ihrem Erlöser erlöste!" (KSA 4, 117, 21 f.) Köselitz merkt in seinem
Brief vom 11. 08. 1888 zurecht an: „,Erlösung dem Erlöser'. (S. 42 Zeile 8) sind
die letzten Worte im Wagner'sehen Parsifal. Ob der Münchener W(agner)Ver-
ein der erste deutsche war, habe ich, trotz vielen Suchens, nicht bestätigen
können: aber vielleicht meinen Sie es gar nicht chronologisch?" (KGB III 6,
Nr. 564, S. 262 f. Tatsächlich wurde der erste „Richard-Wagner-Verein" am
01. 06. 1871 vom Musikalienhändler Emil Heckel in Mannheim gegründet; die
Vereine von München und Leipzig kamen erst im August 1871 hinzu.) In Nohls
umständlicher Beschreibung von Wagners Begräbnis und den Nachrufen wird
der fraglichen „Inschrift" nicht gedacht (Nohl o. J., 128-135); er zitiert die For-
mel „Erlösung dem Erlöser" dafür zweimal als ParsifaZ-Quintessenz (Nohl o. J.,
118 und 121). Tatsächlich ist es nach Ausweis der zeitgenössischen Quellen
auch nicht der Münchner Wagner-Verein gewesen, der seinen Kranz entspre-
chend dedizierte. Henry Perl berichtet 1883 in Richard Wagner in Venedig.
Mosaikbilder aus seinen letzten Lebenstagen: „Wie uns Dr. Keppler versicherte,
muß der Todeskampf des Meisters ein überaus harter gewesen sein, besonders
dadurch erschwert, daß ihm die Stimme völlig versagte. / ,Erlösung dem
Erlöser!' / Diese sinnig großen Worte aus der erhabenen Parsifaldichtung
das Ende des Christentums verzögert hätten. In GD Was den Deutschen abgeht,
KSA 6, 103-110 sowie EH WA 4, KSA 6, 362-364 rechnet er den Deutschen ihre
kulturelle Inferiorität vor. Die These von der historischen Entwicklungsverzöge-
rung in Deutschland, die N. im Bereich der Kultur, der Religion, der Wissen-
schaft diagnostiziert, wird im 20. Jahrhundert auf die politische Geschichte
übertragen und kulminiert in Helmuth Plessners Darstellung der „verspäteten
Nation" (Die verspätete Nation, Stuttgart 1959).
41, 17-23 u. 42, 1-2 Es geschah beim Begräbnisse Wagner's, dass der erste
deutsche Wagner-Verein, der Münchener, an seinem Grabe einen Kranz nieder-
legte, dessen Inschrift sofort berühmt wurde. „Erlösung dem Erlöser!" — lau-
tete sie. Jedermann bewunderte die hohe Inspiration, die diese Inschrift diktirt
hatte, Jedermann einen Geschmack, auf den die Anhänger Wagner's ein Vorrecht
haben; Viele aber auch (es war seltsam genug!) machten an ihr dieselbe kleine
Correctur: „Erlösung vom Erlöser!" — Man athmete auf.] Vgl. NK 15, 2, zum
Begriff des Erlösers NK KSA 6, 198, 32. „Höchsten Heiles Wunder: / Erlösung
dem Erlöser!", lauten die Schlussworte von Wagners Parsifal (Wagner 1907, 10,
375). Als Begräbnis-Nachruf auf Wagner — er wurde am 18. 02. 1883 in Bay-
reuth bestattet — wird der ,„fromme[.]‘ Wunsch[.]: ,Erlösung dem Erlöser!"'
schon in NL 1885, KSA 11, 41[2]6, 673, 15 f. (KGW IX 4, W I 5, 34, 26) ausge-
drückt, um dann in NL 1888, KSA 13, 14[52], 243 (KGW IX 8, W II 5, 161) mit
dem Kranz des Münchner Wagner-Vereins assoziiert zu werden. In Za II Von
den Priestern kommt die Umkehrung der Formel schon vor: „Ach dass Einer
sie noch von ihrem Erlöser erlöste!" (KSA 4, 117, 21 f.) Köselitz merkt in seinem
Brief vom 11. 08. 1888 zurecht an: „,Erlösung dem Erlöser'. (S. 42 Zeile 8) sind
die letzten Worte im Wagner'sehen Parsifal. Ob der Münchener W(agner)Ver-
ein der erste deutsche war, habe ich, trotz vielen Suchens, nicht bestätigen
können: aber vielleicht meinen Sie es gar nicht chronologisch?" (KGB III 6,
Nr. 564, S. 262 f. Tatsächlich wurde der erste „Richard-Wagner-Verein" am
01. 06. 1871 vom Musikalienhändler Emil Heckel in Mannheim gegründet; die
Vereine von München und Leipzig kamen erst im August 1871 hinzu.) In Nohls
umständlicher Beschreibung von Wagners Begräbnis und den Nachrufen wird
der fraglichen „Inschrift" nicht gedacht (Nohl o. J., 128-135); er zitiert die For-
mel „Erlösung dem Erlöser" dafür zweimal als ParsifaZ-Quintessenz (Nohl o. J.,
118 und 121). Tatsächlich ist es nach Ausweis der zeitgenössischen Quellen
auch nicht der Münchner Wagner-Verein gewesen, der seinen Kranz entspre-
chend dedizierte. Henry Perl berichtet 1883 in Richard Wagner in Venedig.
Mosaikbilder aus seinen letzten Lebenstagen: „Wie uns Dr. Keppler versicherte,
muß der Todeskampf des Meisters ein überaus harter gewesen sein, besonders
dadurch erschwert, daß ihm die Stimme völlig versagte. / ,Erlösung dem
Erlöser!' / Diese sinnig großen Worte aus der erhabenen Parsifaldichtung