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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0190
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Stellenkommentar WA Nachschrift, KSA 6, S. 43-44 171

in einer unter seinen Büchern überlieferten Hoffmann von Fallersleben-Antho-
logie gelesen haben dürfte (Anonym 1854a, 17). In Hoffmann von Fallerslebens
Gedicht ist es die Liebe, die unter dem Rosengebüsch schläft. Der Frühling
wendet all seine Kunstgriffe an, sie wachzurufen und vor allem wachzuhalten.
43, 30-33 Ah dieser alte Zauberer! Dieser Klingsor aller Klingsore! Wie er uns
damit den Krieg macht! uns, den freien Geistern! Wie er jeder Feigheit der
modernen Seele mit Zaubermädchen-Tönen zu Willen redet!] Auch der Zauberer
Klingsor hoffte, so ist dem 1. Aufzug des Parsifal zu entnehmen, in den erlauch-
ten Kreis der Gralsritter aufgenommen zu werden, musste aber eine Abweisung
hinnehmen, hatte er sich doch, um dem Keuschheitsgebot zu entsprechen,
selbst entmannt. Um Rache zu nehmen, errichtete er in der Nähe der Gralsburg
sein Zauberschloss mit dem Garten, in dem schöne Mädchen blumengleich
wachsen.
43, 33 f. Es gab nie einen solchen Todhass auf die Erkenntniss!] Das „Wun-
der der Erkenntnis", das dem reinen Toren Parsifal widerfährt, ist „die Wieder-
geburt aus der Gnade, wie sie schon das fernste Menschensein als Sinn alles
Religiösen erkannt hatte" (Nohl o. J., 115) — für N. gerade Ausdruck radikaler
Erkenntnis- und Wissenschaftsfeindlichkeit. Die findet er neben Wagner nur
noch im Christentum, vgl. AC 58, KSA 6, 226-227. Nimmt man in 43, 34 Erkennt-
nis doppeldeutig im Sinne von Genesis 4, 1, so kann sie auch den Geschlechts-
akt oder das Geschlechtliche meinen — auf das eben Klingsor (alias Wagner)
mit seiner Keuschheitsideologie gleichermaßen einen „Todhass" entwickelt
hat.
43, 34 Todhass] Vgl. NK 15, 26.
43, 34-44, 2 Man muss Cyniker sein, um hier nicht verführt zu werden, man
muss beissen können, um hier nicht anzubeten.] Pohl 1888 zitiert gegen Ende
seiner polemischen Besprechung diesen Satz und schließt sie wie folgt: „Das
ist der Grundsatz Lucifer's, als er sich gegen die Gottheit empört — /1033/
Soviel ist gewiss: Nietzsche ist Cyniker durch und durch — geworden. — Und
diese Erkenntniss ist das einzige positive Resultat der Lecture seiner Streit-
schrift." (KGB III 7/3, 2, S. 1032 f.) Die antike Philosophenschule der Kyniker
zeichnete sich durch unverfrorene Direktheit, Schamlosigkeit und besondere
Bissigkeit im Umgang mit konkurrierenden Philosophien aus. Ihr Name leitet
sich nach manchen Überlieferungen vom beißfreudigen kvwv, vom Hund ab.
Zum Kynismus-Motiv beim späten N. siehe NK KSA 6, 302, 26-30 und im Blick
auf Wagner NK KSA 6, 418, 3 f.
44, 3 Der Cyniker warnt dich — cave canem...] Das lateinische Epigramm —
übersetzt: „Nimm dich vor dem Hund in acht" — spielt natürlich auf die Etymo-
logie der „Cyniker" an, siehe NK 43, 34-44, 2.
 
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