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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0200
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Stellenkommentar WA Zweite Nachschrift, KSA 6, S. 46 181

in die gefällten Machtsprüche am besten anstehen. Das würde sich für Jeden
empfehlen, nur nicht für den Ref., der über das Was und Wohin eine Auskunft
geben soll. Herr Nietzsche steht in leidenschaftlich empfundenem Gegensatz
zu dieser Zeit, deren Schäden er mit Seherblick aufzuspüren und offen zu
legen weiß. Unter der Herrschaft dieses Affects, dem er rettungslos verfallen
scheint, entströmen ihm Empfindungen, Ahnungen, Gedanken in schneller
Flucht, alle nur zusammengehalten durch den einen Glauben an den unauf-
haltsamen Ruin der Gegenwart, während sie im Uebrigen den ausgesprochenen
Character zusammenhangsloser Fulgurationen tragen, bald leuchtend wie
echte Geistesblitze, bald Himmel und Erde erdrückend wie undurchdringliches
Gewölk. Einst hatte er die Heilung in der Kunst Wagner's und der Weisheit
Schopenhauer's gesucht, es waren die Tage seines verheißenden Morgenro-
thes; beide Idole sind ihm inzwischen entwerthet worden. Welche Umstände
sonst dazu beigetragen haben, ist dem Ref. unbekannt. Nach dieser Schrift
konnte einem Manne, der die Philosophie des Antichrist erwartet, der Concipi-
ent des Parsifal nicht länger als ein Messias erscheinen, und dem Denker eines
,Jenseits von Gut und Böse', der nicht mehr als richtweisender Philosoph gel-
ten, der die Bedeutung der Welt allein im Moralischen suchte. [...] Was bleibt
nun übrig? Die Aussicht auf eine kommende Musik, ,welche vor dem Anblick
des blauen wollüstigen Meeres und der mittelländischen Himmelshelle nicht
verklingt, vergilbt, verblaßt, wie es alle deutsche Musik thut, eine übereuropäi-
sche Musik, die noch vor den braunen Sonnenuntergängen der Wüste Recht
behält, deren Seele mit der Palme verwandt ist und unter großen, schönen,
einsamen Raubthieren heimisch zu sein und zu schweifen versteht', und die
Züchtung einer regierenden Kaste, welche dem willenslahm gewordenen
Europa für ein Jahrtausend ihr Gesetz aufzwingt und damit den Typus Mensch
den noch unerschöpften Möglichkeiten seiner Erhöhung entgegenführt.
Möchte diese Erhöhung in erster Linie (denn Europa farä da se) nicht sowohl
dem Autor, von dessen hoher Geistigkeit wir ganze Gewißheit haben, als sei-
nen zukünftigen Publicationen zu Gute kommen: sie sündigen nach dem vor-
liegenden Beispiele derartig, daß der Glanz, den jene ausströmt, von den
Excentricitäten dieser leicht ganz verdunkelt werden kann." (Zitiert nach KGB
III 7/3, 1, S. 935-937).
46, 14 Bayreuther Cretinismus] Vgl. NK 24, 12. Im Brief an Malwida von Mey-
senbug von Ende Juli 1888 beklagt N., seinem Erfolg stehe „auch der Bayreu-
ther Cretinismus im Wege" (KSB 8, Nr. 1078, S. 378, Z. 26 f.).
46, 19 f. Wenn Wagner der Name bleibt für den Ruin der Musik, wie Bernini
für den Ruin der Skulptur] Der italienische Barock-Bildhauer und Architekt
Lorenzo Bernini (1598-1680) „galt in seinen spätern Jahren ohne Frage als
 
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