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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0243
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224 Götzen-Dämmerung

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59, 3 f. Müssiggang ist aller Psychologie Anfang. Wie? wäre Psychologie ein —
Laster?] Vgl. NK 58, 6 f. In den im Nachlass vom Frühjahr 1888 überlieferten
„Sprüchen eines Hyperboreers", aus denen einiges neu geordnet in die „Sprü-
che und Pfeile" und anderes in AC eingegangen ist (AC 1), findet sich eine
andere Version, die stärker an die Tradition anschließt, die Muße als Voraus-
setzung für Philosophie angesehen hatte (z. B. Platon: Phaidon 66d; Aristote-
les: Nikomachische Ethik X 7, 1177b 5): „Müssiggang ist aller Philosophie
Anfang. Folglich — ist Philosophie ein Laster?" (NL 1888, KSA 13, 15[118], 478,
4 f.) Mit der Neufassung folgt N. der im Vorwort bereits markierten Tendenz,
die Aufgabe von GD, nämlich das Götzen-Aushorchen als eine psychologische
Aufgabe zu begreifen. Psychologie ist offensichtlich weniger als Philosophie
belastet durch eine sich in ihrer Geschichte ausprägende Dekadenz (vgl. GD
Die „Vernunft" in der Philosophie, aber auch schon GD Sprüche und Pfeile 11);
„Psychologie" klingt unverbraucht und modern wissenschaftlich.
Das Sprichwort, das N. hier transponiert — „Müssiggang ist aller Laster
Anfang" — ist zu N.s Zeiten vielfach belegt (vgl. die Nachweise bei Wander
1867-1880, 3, 791 f.) und hat ihn schon früher zu einer Variation in moralkriti-
scher Absicht motiviert: „Zarathustra's Müssiggang ist aller Laster Anfang" (NL
1881, KSA 9, 12[112], 596, 12). Diese Notiz macht, zusammen mit NL 1881, KSA
9, 12[225], 616, 5, dem Titelentwurf „Zarathustra's Müssiggang", deut-
lich, dass N. sowohl beim ursprünglichen Titelentwurf für GD („Müssiggang
eines Psychologen") als auch beim ersten „Spruch" des Werkes auf Vorarbeiten
von 1881 zurückgreift und sie durch das Austauschen von Zarathustra durch
den Psychologen neu besetzt, vgl. auch NK 55, 1-3 und Montinari 1984, 70 f.
Von der herkömmlichen Moral als „Laster" gebrandmarkt, erscheint eine neue
Art des kritischen Müßiggangs geboten. Die Notiz zu „Zarathustra's Müssig-
gang" wird im Nachlass 1881 ebenfalls wie in EH GD 3, KSA 6, 356, 8-10 von
einer autobiographischen Beobachtung sekundiert: „Genueser Müssiggang. /
Wenn ich recht beobachtet habe, so bin ich hier der einzige Müssiggänger."
(NL 1881, KSA 9, 12[114], 596, 15-17) In FW 329, KSA 3, 556 f. wird das Ende des
Müßiggangs (als Inbegriff antiker Vornehmheit) in der rastlosen Geschäftigkeit
der Gegenwart anschaulich gemacht (vgl. auch JGB 58, KSA 5, 75 f.). N. setzt
demgegenüber gerade in GD auf eine Rehabilitation des Müßiggangs und illus-
triert damit die Absicht, die herrschende Moral umzuwerten.
N.s Psychologie ist eine „Psychologie ohne Seele" (Höffding 1887, 17) —
wobei der Begriff der Psychologie auch durchaus negativ gefasst werden kann,
vgl. NK 76, 4-6. Zur Beschreibung von N.s eigenem psychologischem Programm
vgl. JGB 23: „Dieselbe als Morphologie und Entwicklungslehre des Wil-
 
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