232 Götzen-Dämmerung
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60, 11 f. Hilf dir selber: dann hilft dir noch Jedermann. Princip der Nächsten-
liebe.] Vgl. Guyau 1887, 69: „II est vrai qu'on corrige habituellement la parole:
,le ciel t'aidera,' par le precepte: ,aide-toi toi-meme.' Mais, pour s'aider soi-
meme efficacement, encore faut-il avoir l'initiative et l'audace, encore faut-il
se revolter contre les evenements au lieu de se courber devant eux; il ne faut
pas se contenter de dire: ,Que la volonte de Dieu soit faite,' mais: ,Que ma
volonte soit faite;' il faut etre comme un rebelle au sein de la multitude passive
des etres, une sorte de Promethee ou de Satan." (Von N. am Rand markiert;
Kursiviertes von ihm unterstrichen. „Es stimmt, dass der Satz ,Der Himmel
wird Dir helfen' normalerweise durch die Losung ,Hilf Dir selbst' korrigiert
wird. Um sich aber selbst wirksam zu helfen, braucht es immer noch Eigenini-
tiative und Kühnheit, man muss sich gegen die Ereignisse auflehnen, anstatt
sie hinzunehmen; es genügt nicht, zu sagen: ,Gottes Wille geschehe', man muss
sagen: ,Mein Wille geschehe;' man muss ein Rebell sein in der passiven Vielzahl
der Wesen, eine Art Prometheus oder Teufel.") Zu N.s Rezeption von Guyau
vgl. NK 91, 11-18, zum Motiv der Selbsthilfe Za I Von der schenkenden Tugend
2, KSA 4, 100.
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60, 14-16 Dass man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! dass man
sie nicht hinterdrein im Stiche lässt! — Der Gewissensbiss ist unanständig.] Die
Kritik am Gewissensbiss oder an der Reue angesichts von Unabänderlichem ist
ein Motiv, das N. beispielsweise in Michel de Montaignes Essai „Du repentir"
(Essais, Buch III, Kapitel 2) begegnet ist: „Le repentir n'est qu'une desdicte de
nostre volonte, et opposition de nos fantasies, qui nous pourmeine ä touts
sens. Il faict desadvouer ä celuy lä sa vertu passee et sa continence" (Mon-
taigne 1864, 417. „Die Reue ist nichts, als eine Aenderung unsers Willens, und
diejenige Verkehrung unserer Gedanken, da wir bald dieß, bald das Gegentheil
wollen können. Sie macht eben so bald, daß Jemand seine Tugenden und löbli-
chen Thaten läugnet" — Montaigne 1753-1754, 2, 779). Auch eine Reue im Hin-
blick auf unsere Charaktereigenschaften im Allgemeinen hält Montaigne für
disfunktional: „Quant ä moy, ie puis desirer en general estre aultre; ie puis
condamner et me desplaire de ma forme universelle, et supplier Dieu pour
mon entiere reformation, et pour l'excuse de ma foiblesse naturelle; mais cela,
ie ne le dois nommer repentir, ce me semble, non plus que le desplaisir de
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60, 11 f. Hilf dir selber: dann hilft dir noch Jedermann. Princip der Nächsten-
liebe.] Vgl. Guyau 1887, 69: „II est vrai qu'on corrige habituellement la parole:
,le ciel t'aidera,' par le precepte: ,aide-toi toi-meme.' Mais, pour s'aider soi-
meme efficacement, encore faut-il avoir l'initiative et l'audace, encore faut-il
se revolter contre les evenements au lieu de se courber devant eux; il ne faut
pas se contenter de dire: ,Que la volonte de Dieu soit faite,' mais: ,Que ma
volonte soit faite;' il faut etre comme un rebelle au sein de la multitude passive
des etres, une sorte de Promethee ou de Satan." (Von N. am Rand markiert;
Kursiviertes von ihm unterstrichen. „Es stimmt, dass der Satz ,Der Himmel
wird Dir helfen' normalerweise durch die Losung ,Hilf Dir selbst' korrigiert
wird. Um sich aber selbst wirksam zu helfen, braucht es immer noch Eigenini-
tiative und Kühnheit, man muss sich gegen die Ereignisse auflehnen, anstatt
sie hinzunehmen; es genügt nicht, zu sagen: ,Gottes Wille geschehe', man muss
sagen: ,Mein Wille geschehe;' man muss ein Rebell sein in der passiven Vielzahl
der Wesen, eine Art Prometheus oder Teufel.") Zu N.s Rezeption von Guyau
vgl. NK 91, 11-18, zum Motiv der Selbsthilfe Za I Von der schenkenden Tugend
2, KSA 4, 100.
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60, 14-16 Dass man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! dass man
sie nicht hinterdrein im Stiche lässt! — Der Gewissensbiss ist unanständig.] Die
Kritik am Gewissensbiss oder an der Reue angesichts von Unabänderlichem ist
ein Motiv, das N. beispielsweise in Michel de Montaignes Essai „Du repentir"
(Essais, Buch III, Kapitel 2) begegnet ist: „Le repentir n'est qu'une desdicte de
nostre volonte, et opposition de nos fantasies, qui nous pourmeine ä touts
sens. Il faict desadvouer ä celuy lä sa vertu passee et sa continence" (Mon-
taigne 1864, 417. „Die Reue ist nichts, als eine Aenderung unsers Willens, und
diejenige Verkehrung unserer Gedanken, da wir bald dieß, bald das Gegentheil
wollen können. Sie macht eben so bald, daß Jemand seine Tugenden und löbli-
chen Thaten läugnet" — Montaigne 1753-1754, 2, 779). Auch eine Reue im Hin-
blick auf unsere Charaktereigenschaften im Allgemeinen hält Montaigne für
disfunktional: „Quant ä moy, ie puis desirer en general estre aultre; ie puis
condamner et me desplaire de ma forme universelle, et supplier Dieu pour
mon entiere reformation, et pour l'excuse de ma foiblesse naturelle; mais cela,
ie ne le dois nommer repentir, ce me semble, non plus que le desplaisir de