252 Götzen-Dämmerung
Haß auch aus Feigheit: weil Lüge verboten ist — bei einer anderen Art
Mensch hilft alles Moralisiren ,du sollst nicht lügen' nichts gegen den Instinkt,
welcher der Lüge beständig bedarf: Zeugniß das neue Testament." In NL
1888, KSA 13, 15[57], 445, 18-27 wird daraus eine sozialphilosophisch moti-
vierte Apologie der Lüge: „— an sich verlangen, daß nur ,Wahres' gesagt wird,
würde voraussetzen daß man die Wahrheit hätte; soll es aber nur heißen, daß
man sagt, was einem wahr gilt, so giebt es Fälle, wo es wichtig ist, dasselbe
so zu sagen, daß es einem Anderen auch wahr gilt: daß es auf ihn
wirkt / Sobald wir selbst die Moral absolut nehmen und z. B. das Verbot
der Lüge im religiösen Verstände, so wird die ganze Geschichte der Moral,
wie die der Politik, eine Nichtswürdigkeit. Wir leben von Lügen und
Falschmünzereien — die herrschenden Stände haben immer gelogen..."
33
64, 14 Wie wenig gehört zum Glücke! Der Ton eines Dudelsacks.] In N.s Werken
kommt der Dudelsack — abgesehen von der Vorstufe dieses Abschnitts NL
1888, KSA 13, 15[118], 478, 6-7 — nur noch am Ende des fünften Buchs der
Fröhlichen Wissenschaft vor. Dort wird der „einfältige[.], bäurische[.] Dudel-
sack" (FW 383, KSA 3, 637, 31 f.) als Begleitinstrument für die — gegen alle
intellektuelle Düsternis und jeden Trübsinn — ins Tanzen geratende, fröhliche
Wissenschaft bemüht. „Mein Dudelsack wartet schon, meine Kehle auch — sie
mag ein wenig rauh klingen, nehmt fürlieb! dafür sind wir im Gebirge." (KSA
3, 638, 6-8) Der Dudelsack ist hier — wie überhaupt in der deutschen Litera-
tur — mit Landleben assoziiert, das freilich in Gebirgshöhen ausgreift. Bei der
Interpretation von 64, 14 ist an Sprüche und Pfeile 12, KSA 6, 61, 1 f. zu erin-
nern: Glück erscheint als eine verdächtige Sache. Der erste Satz 64, 14 gemahnt
an Za IV Mittags, KSA 4, 344, 1-3: ,„Zum Glück, wie wenig genügt schon zum
Glücke!' So sprach ich einst, und dünkte mich klug. Aber es war eine Läste-
rung: das lernte ich nun. Kluge Narrn reden besser."
64, 15 Ohne Musile wäre das Leben ein Irrthum.] Im Brief an Köselitz vom
15. 01. 1888 unterstreicht N. die therapeutische und inspirative Wirkung der
Musik im Allgemeinen und von Bizets Carmen im Besonderen. „Das Leben
ohne Musik ist einfach ein Irrthum, eine Strapatze, ein Exil." (KSB 8, Nr. 976,
232, Z. 30 f.) Noch stärker subjektiviert wird die Überlegung in N.s Antwort auf
Georg Brandes' Buch über die literarische Romantik (Brandes 1887) vom 27. 03.
1888: Nur in der Musik, nicht in der Literatur sei die romantische Bewegung
„zum Ziel gekommen" (KSB 8, Nr. 1009, S. 279, Z. 52). „Ich fürchte, ich bin zu
Haß auch aus Feigheit: weil Lüge verboten ist — bei einer anderen Art
Mensch hilft alles Moralisiren ,du sollst nicht lügen' nichts gegen den Instinkt,
welcher der Lüge beständig bedarf: Zeugniß das neue Testament." In NL
1888, KSA 13, 15[57], 445, 18-27 wird daraus eine sozialphilosophisch moti-
vierte Apologie der Lüge: „— an sich verlangen, daß nur ,Wahres' gesagt wird,
würde voraussetzen daß man die Wahrheit hätte; soll es aber nur heißen, daß
man sagt, was einem wahr gilt, so giebt es Fälle, wo es wichtig ist, dasselbe
so zu sagen, daß es einem Anderen auch wahr gilt: daß es auf ihn
wirkt / Sobald wir selbst die Moral absolut nehmen und z. B. das Verbot
der Lüge im religiösen Verstände, so wird die ganze Geschichte der Moral,
wie die der Politik, eine Nichtswürdigkeit. Wir leben von Lügen und
Falschmünzereien — die herrschenden Stände haben immer gelogen..."
33
64, 14 Wie wenig gehört zum Glücke! Der Ton eines Dudelsacks.] In N.s Werken
kommt der Dudelsack — abgesehen von der Vorstufe dieses Abschnitts NL
1888, KSA 13, 15[118], 478, 6-7 — nur noch am Ende des fünften Buchs der
Fröhlichen Wissenschaft vor. Dort wird der „einfältige[.], bäurische[.] Dudel-
sack" (FW 383, KSA 3, 637, 31 f.) als Begleitinstrument für die — gegen alle
intellektuelle Düsternis und jeden Trübsinn — ins Tanzen geratende, fröhliche
Wissenschaft bemüht. „Mein Dudelsack wartet schon, meine Kehle auch — sie
mag ein wenig rauh klingen, nehmt fürlieb! dafür sind wir im Gebirge." (KSA
3, 638, 6-8) Der Dudelsack ist hier — wie überhaupt in der deutschen Litera-
tur — mit Landleben assoziiert, das freilich in Gebirgshöhen ausgreift. Bei der
Interpretation von 64, 14 ist an Sprüche und Pfeile 12, KSA 6, 61, 1 f. zu erin-
nern: Glück erscheint als eine verdächtige Sache. Der erste Satz 64, 14 gemahnt
an Za IV Mittags, KSA 4, 344, 1-3: ,„Zum Glück, wie wenig genügt schon zum
Glücke!' So sprach ich einst, und dünkte mich klug. Aber es war eine Läste-
rung: das lernte ich nun. Kluge Narrn reden besser."
64, 15 Ohne Musile wäre das Leben ein Irrthum.] Im Brief an Köselitz vom
15. 01. 1888 unterstreicht N. die therapeutische und inspirative Wirkung der
Musik im Allgemeinen und von Bizets Carmen im Besonderen. „Das Leben
ohne Musik ist einfach ein Irrthum, eine Strapatze, ein Exil." (KSB 8, Nr. 976,
232, Z. 30 f.) Noch stärker subjektiviert wird die Überlegung in N.s Antwort auf
Georg Brandes' Buch über die literarische Romantik (Brandes 1887) vom 27. 03.
1888: Nur in der Musik, nicht in der Literatur sei die romantische Bewegung
„zum Ziel gekommen" (KSB 8, Nr. 1009, S. 279, Z. 52). „Ich fürchte, ich bin zu