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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0292
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Stellenkommentar GD Sokrates, KSA 6, S. 69 273

tatischen Zustände diskutiert Zeller 1859, 2, 62 f., Fn. 3, ausführlich, um
schließlich mit Schleiermacher die „Ableitung des Dämonium aus einer krank-
haften körperlichen Reizbarkeit" ebenso entschieden zurückzuweisen wie die
„Vermuthung, dass dasselbe die Einbildung eines Verrückten, und der grosse
Reformator der Philosophie weiter nichts, als ein Wahnsinniger gewesen" (Zel-
ler 1859, 2, 64). Zeller verwahrt sich hier gegen das 1836 erstmals erschienene,
1856 erneut aufgelegte Werk Du demon de Socrate von Louis Frangois Lelut,
das Sokrates einer psychopathologischen Betrachtung unterworfen hatte und
zum Schluss kam, dass Sokrates verrückt gewesen sei (Lelut 1856, 7; 93 f. u. ö.).
„Seinen Hauptbeweisgrund bildet der Satz, dass Sokrates nicht allein an die
Realität und Persönlichkeit seines Dämoniums geglaubt, sondern auch in häu-
figen Hallucinationen seine Reden förmlich sinnlich zu hören gemeint habe."
(Zeller 1859, 2, 64, Fn. 2; vgl. Lelut 1856, 7 u. ö.) Da es keine Hinweise gibt,
dass N. Leluts Werk direkt gelesen hat, könnte er auf die „Hallucinationen"
des Sokrates bei Zeller gestoßen sein — „Hallucinationen" im Zusammenhang
mit Sokrates kommen bei N. nur hier und in der Vorarbeit NL 1888, KSA 13,
14[92], 269, 28 (KGW IX 8, W II 5, 131, 26-28) vor. Überdies ist Lelut, der Pascal
ebenfalls für einen „hallucine" hielt, N. bei Brunetiere 1887, 38 f. begegnet
(Lesespuren N.s, vgl. NPB 155). Über den psychologischen Begriff der Halluzi-
nation hat sich N. bei Höffding 1887, 179-183 unterrichtet (Lesespuren, vgl. NPB
300). Moreau 1859 hat Leluts Vorgabe aufgenommen und die geistesgeschichtli-
che Entwicklung insgesamt als Folge physisch-psychischer Pathologien ver-
standen. Sokrates ist ihm dafür ein prominentes Beispiel.
69, 17 f. Alles ist übertrieben, buffo, Karikatur an ihm] Eine Vorarbeit ist aus-
führlicher: „es ist alles übertrieben, excentrisch, Carikatur an Sokrates, ein
buffo, mit den Instinkten Voltaires im Leibe" (NL 1888, KSA 13, 14[92], 268,
30 f. = KGW IX 8, W II 5, 131, 58-60). „Buffo" ist der komische Sänger in
der italienischen Oper (vgl. Meyer 1885-1892, 3, 604). Während sonst in der
zeitgenössischen Literatur die Sokrates-Darstellung in Aristophanes' Wolken
explizit als Karikatur gilt (vgl. z. B. Lange 1887, 28), ist es nun Sokrates selbst —
wobei offen bleibt, wovon er eine Karikatur ist.
Thomas Mann nimmt in seinem Brief vom 05. 12. 1903 an seinen Bruder
Heinrich N.s Wortgebrauch von „buffo" und überhaupt die auf Sokrates
gemünzte Formulierung 69, 17 f. auf, in der Absicht, Heinrich Manns Roman
Jagd nach Liebe zu verurteilen: „Alles ist verzerrt, schreiend, übertrieben, ,Bla-
sebalg', ,buffo'" (Mann 2002, 21, 243). Vgl. NK 114, 23 f. u. 115, 5 f.
69, 19-21 Ich suche zu begreifen, aus welcher Idiosynkrasie jene sokratische
Gleichsetzung von Vernunft = Tugend = Glück stammt] Zu der von N. Sokrates
unterstellten Gleichsetzung von Tugend und Wissen nach Platons Protagoras
 
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