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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0310
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Stellenkommentar GD Vernunft, KSA 6, S. 74-75 291

dieselben Vielheit und Veränderung zeigten, verwarf er deren Zeugniss, weil sie
die Dinge zeigten, als ob sie Dauer und Einheit hätten.] Vgl. Brochard 1887, 7
(Nachweis bei Brobjer 1997a, 576 f.): „L'un des premiers, sinon le premier, Hera-
clite a montre que la sensation suppose un double facteur, le mouvement de
l'objet et celui du sujet. Parmenide recusait le temoignage des sens, parce
qu'ils nous montrent la multiplicite et le changement: Heraclite, parce qu'ils
nous representent les choses comme avant de l'unite et de la duree." („Als
einer der ersten, wenn nicht als erster, hat Heraklit gezeigt, dass die Sinnes-
empfindung zwei Faktoren voraussetzt; die Bewegung des Objekts und jene
des Subjekts. Parmenides hat das Zeugnis der Sinne zurückgewiesen, weil sie
uns Vielfalt und Veränderung zeigen: Heraklit wies sie zurück, weil die Sinne
uns die Dinge zeigen, als hätten sie Einheit und Dauer.") Auf N.s Heraklit-
Bild dürfte abgesehen von seiner frühen, intensiven Beschäftigung mit den
Vorsokratikern (vgl. z. B. NK 1, 78, 23-25 und der einschlägigen Forschungslite-
ratur, vgl. NK KSA 6, 313, 7-12) auch die spätere Lektüre von Teichmüller 1876
nicht ohne Einfluss geblieben sein. Zu N.s Kritik an statischen Wirklichkeits-
konzeptionen vgl. z. B. Dries 2008, zu N.s Heraklit-Bild Borsche 1985, 69-77.
75, 15-21 Dieselben lügen weder in der Art, wie die Eleaten es glauben, noch
wie er es glaubte, — sie lügen überhaupt nicht. Was wir aus ihrem Zeugniss
machen, das legt erst die Lüge hinein, zum Beispiel die Lüge der Einheit, die
Lüge der Dinglichkeit, der Substanz, der Dauer... Die „ Vernunft" ist die Ursache,
dass wir das Zeugniss der Sinne fälschen. Sofern die Sinne das Werden, das
Vergehn, den Wechsel zeigen, lügen sie nicht...] Indem N. den klassischen philo-
sophischen Erkenntnisvorrang der Vernunft vor den Sinnen zurückweist und
die Vernunft zur Täuscherin macht, die den von den Sinnen gelieferten Stoff
fälsche, unterläuft er den von Brochard bei den griechischen Philosophen fest-
gestellten Grundkonsens, dass stets der Vernunft und nicht den Sinnen zu
trauen sei. Die erkenntnistheoretische Alternative, die das Haupt der Platoni-
schen Akademie, Karneades von Kyrene (ca. 214-128 v. Chr.), diesem grie-
chisch-philosophischen Konsens gegenüberstellt, besagt demgegenüber, dass
weder den Sinnen noch der Vernunft zu trauen sei (Brochard 1887, 127). Karne-
ades räumt also den Sinnen auch keine Erkenntnisrechte ein.
75, 19 der Dauer...] In W II 5, 73 folgte darauf (gestrichen): „Wir denken heute
darüber durchaus als Herakliteer" (KGW IX 8, W II 5, 73, 54, vgl. KSA 14, 414).
Vgl. dazu NL 1888, KSA 13, 14[116], 293, 12 f. (korrigiert nach KGW IX 8, W II 5,
105, 52-58): „unsere heutige Denkweise ist in einem hohen Grade Heraklitisch,
Demokritisch und Protagoreisch..."
75, 22 f. Aber damit wird Heraklit ewig Recht behalten, dass das Sein eine leere
Fiktion ist.] Vgl. Brochard 1887, 6 f.: „Rien de plus oppose ä la doctrine des
 
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