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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0314
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Stellenkommentar GD Vernunft, KSA 6, S. 76 295

Reduktion der Philosophie auf den ,Willen zu einer Erkenntnißtheorie' ist
komisch. Als ob sich so Sicherheit finden ließe!" Der Begriff der Erkenntnis-
theorie ist zunächst mit dem (Neu-)Kantianismus assoziiert, wird aber z. B. (als
„theorie de la connaissance") bei Roberty 1887, 19 f. (Lesespuren N.s) u. ö.
generell zur Bezeichnung von vorwissenschaftlichen, metaphysischen Überle-
gungen zur Möglichkeit und Wirklichkeit des Erkennens benutzt. Die Entste-
hung der Erkenntnistheorie ist für Roberty zwar ein Entwicklungsschritt, sie
bleibt aber an die Metaphysik gebunden (ebd., 82 f., vgl. 231, jeweils Lesespu-
ren N.s). Für Robertys Kritik wiederum ist die Feststellung charakteristisch,
dass der Idealismus auf einer falschen Psychologie beruhe und sich auch Kants
Kritizismus schließlich in wissenschaftliche Psychologie transformieren
müsse: „La metaphysique, dont l'idealisme n'est qu'un cas particulier, a tou-
jours eu pour point de depart non seulement une fausse psychologie ou plutöt
une fausse philosophie de la psychologie, mais encore des philosophies tout
aussi peu satisfaisantes de la physique, de la chimie, etc.; d'un autre cöte
cependant, quelque vastes que soient nos connaissances en psychologie, elles
ne sauraient, ä elles seules, nous conduire ä des generalisations vraiment philo-
sophiques. Mais c'est lä precisement ce qui est absolument nie par une certaine
philosophie qui, ä cause de cela meme, est fatalement condamnee ä rester
toujours ä l'etat purement critique. [...] [o]u la philosophie critique cedera sa
place ä la psychologie scientifique et disparaitra, ou elle se transformera
encore une fois, comme cela lui est dejä arrive chez Kant, en une veritable
metaphysique." (Roberty 1887, 338; von N. Unterstrichenes kursiviert; Randstri-
che links und rechts. „Die Metaphysik, von der der Idealismus bloß ein Spezial-
fall ist, hat als Ausgangspunkt immer schon nicht nur eine falsche Psychologie
oder genauer eine falsche Philosophie der Psychologie gehabt, sondern mehr
noch genauso unbefriedigende Philosophien der Physik, der Chemie, etc.;
andererseits jedoch, so umfassend unsere Kenntnisse der Psychologie auch
sein mögen, sie allein werden uns niemals zu wahrhaftig philosophischen Verall-
gemeinerungen führen können. Aber genau dieser Punkt wird oft von einer
gewissen Philosophie absolut verneint und eben deshalb wird diese Philoso-
phie für ewig im Zustand reiner Kritik bleiben. [...] [E]ntweder wird die kritische
Philosophie der wissenschaftlichen Psychologie Platz machen und verschwin-
den, oder sie wird sich nochmals, wie sie es schon bei Kant getan hat, in eine
wirkliche Metaphysik verwandeln.") Während Roberty also eine falsche und
eine wissenschaftliche Psychologie unterscheidet und nur erstere der vorwis-
senschaftlichen Sphäre zuschlägt, verkürzt N. in 76, 4-6 Psychologie und
Erkenntnistheorie auf Disziplinen, die ohne Sinneswahrnehmung auskommen
zu können wähnen und daher vorwissenschaftlich sind. Eine wissenschaftliche
Psychologie ginge demgegenüber von der Sinneswahrnehmung aus; an die
 
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