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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0331
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312 Götzen-Dämmerung

müssen wir das Kriterium innerhalb, nicht aber ausserhalb der Welt des
Bewusstseins suchen. Dasselbe kann denn auch nichts andres sein als die
innere Harmonie und Konsequenz aller Gedanken und Erfah-
rungen [von N. mit drei Ausrufezeichen markiert] ([...]). Können wir nicht
aus dem Traum herauskommen, so können wir doch (wie Calderon es in
„Das Leben ein Traum" verlangt) ,im Traume recht leben', was hier sagen will,
dass wir stets das Gebiet unsrer Erfahrungen und Gedanken erweitern und
einen tiefern und festem Zusammenhang derselben begründen können. Nur
über die einzelnen und unmittelbaren Erscheinungen unsers eignen Bewusst-
seins haben wir eine direkte und unmittelbare Gewissheit. Sobald wir jedoch
mit zusammengesetzten Erscheinungen zu thun haben, liegt das einzig mögli-
che Kriterium der Wirklichkeit in dem festen Kausalzusammenhang. Dies gilt
der Innern, seelischen Wirklichkeit sowohl als der äussern, physischen Wirk-
lichkeit. Diese praktische Gültigkeit des Kriteriums, der Wirklichkeit ist unab-
hängig davon, ob der Subjektivismus recht hat oder nicht [von N. am Rand mit
„NB" markiert]. Unsre Erkenntnis muss der Natur der /277/ Sache zufolge
sowohl in Form als Inhalt beständig das Gepräge unsers Geistes tragen und
vor dessen Schranken innehalten. Dies beraubt die Erkenntnis jedoch weder
ihrer Gültigkeit noch ihres Werts. Gibt es eine höhere Wahrheit als die durch
menschliche Erkenntnis erreichbare, so ist alle von uns erkannte Wahrheit ein
Teil derselben. Indem wir uns der Mittel und des Massstabs bedienen, die uns
durch die Natur und die Organisation unsers Geistes gegeben sind, können wir
also wirklich in der Erkenntnis der objektiven Wahrheit vorwärts schreiten."
(Höffding 1887, 276 f. Die letzte Zeile von N. mit drei Fragezeichen markiert,
von ihm Unterstrichenes kursiviert; von „Werts" bis „schreiten" mit Randstrich
markiert und von N. glossiert: „NB!? moral. Voraussetzung ist der Grund der
Dinge!") Vgl. den in NK KSA 6, 436, 26 f. zitierten, der hier wiedergegebenen
Höffding-Stelle unmittelbar vorangehenden Passus.
81, 12-14 (Mittag; Augenblick des kürzesten Schattens; Ende des längsten Irr-
thums; Höhepunkt der Menschheit; INCIPIT ZARATHUSTRA.)] Der letzte Satz
lautete in der Vorarbeit W II 5, 64 noch: „INCIPIT PHILOSOPHIA" (KGW IX 8,
W II 5, 64, 54-58, vgl. KSA 14, 415). Inwiefern die Philosophie oder eben Zara-
thustra erst beginnt mit der Beseitigung des Irrtums — und ob nicht nach dem
Mittag wieder der Abend und die Nacht kommen werden, bleibt offen (vgl.
auch Za IV Das Zeichen, KSA 4, 408, 19 f.). In FW 342 ist „Zarathustra's Unter-
gang" mit „Incipit tragoedia" überschrieben (KSA 3, 571); die Passage
selbst ohne das „Incipit" kehrt in Za I Vorrede 1, KSA 4, 11 f. wieder. In 81, 14
scheint hingegen die Tragödie des abendländischen Geistes bereits wieder vor-
bei zu sein. Die Nennung Zarathustras passt in die Logik der Figurenanord-
nung des ganzen Kapitels: In Absatz 1 wird Platon explizit genannt und damit
 
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