Stellenkommentar GD Moral, KSA 6, S. 83 319
grossen Stifters der la Trappe, Rance" abgewandt habe „unter den Worten:
,das ist Sache der Gnade"' und erklärt dies mit der Sehnsucht des Genius
„nach Heiligkeit" (KSA 1, 358, 27-30). Die Quelle hierfür ist Gwinner 1862, 108:
„Nie vergesse ich meinen Freund, als er einst bei mir das Bild Rance's, des
Abts von La Trappe sah und mit einer schmerzlichen Geberde sich wegwen-
dend sagte: das ist Sache der Gnade! Er wollte nicht mehr sein als ein Gelehr-
ter, kein Asket, geschweige denn ein Heiliger." M 192 verweist auf Armand Jean
Le Bouthillier de Rance (1626-1700) als „Gründer der Trappistenklöster" (KSA
3, 166, 2) in einer Aufzählung christlicher Erscheinungsformen der französi-
schen Kultur — unter dem Titel „Sich vollkommene Gegner wün-
schen" (KSA 3, 165, 11) — als denjenigen, der mit den „asketischen Ideale[n]
des Christenthums den letzten Ernst gemacht" habe (KSA 3, 166, 2 f.). Das wird
man von Rances, aus dem Kloster La Trappe ausgehenden, strengen Reformbe-
wegung innerhalb des Zisterzienserordens mit Recht sagen können.
83, 20 f. die Unfähigkeit, auf einen Reiz nicht zu reagiren, ist selbst bloss eine
andre Form der Degenerescenz.] Vgl. GD Was den Deutschen abgeht 6, KSA 6,
109, 3-5. N. attestiert diese scheinbar so degenerationstypische Unfähigkeit,
nicht zu reagieren, in GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 10 auch dem diony-
sisch Berauschten, vgl. NK 117, 30 f. EH Warum ich so klug bin 8 stellt die
lebenspraktische Maxime auf, sich Situationen zu entziehen, die einem zur
Reaktion auf Reize nötigen, vgl. NK KSA 6, 292, 27-31. Während die Trägheit,
auf Reize zu reagieren, nach Fere 1887, 133 ein Zeichen der Stärke ist, hatte N.
früher im Anschluss an und in Abgrenzung von Roux 1881, 111-209 mit dem
Begriff Reiz die Wirkungsweise der Willen zur Macht zum Ausdruck zu bringen
versucht (vgl. Müller-Lauter 1978, 214; Abel 1998, 93-95; Haaz 2002 und Reuter
2012; zur Frage von Aktivität und Reaktivität bes. Brusotti 2001). Roux 1881, 81
spricht vom „Kampf um den Reiz und Sieg durch Reizentziehung".
In GD treten derlei physiologisch abgesicherte Überlegungen in den Hinter-
grund.
83, 27-32 Man überschaue die ganze Geschichte der Priester und Philosophen,
der Künstler hinzugenommen: das Giftigste gegen die Sinne ist nicht von den
Impotenten gesagt, auch nicht von den Asketen, sondern von den unmöglichen
Asketen, von Solchen, die es nöthig gehabt hätten, Asketen zu sein...) In der
ersten Fassung in Heft W II 6, 43 f. (mitgeteilt oben in NK ÜK GD Moral als
Widernatur) wurde als ein solcher „unmöglicher Asket" noch ausdrücklich der
Kirchenvater Aurelius Augustinus (354-430) benannt — der richtige Asket, der
„Impotente" scheint demgegenüber im Einklang mit seinem Wesen zu sein und
daher einfach Verzicht zu leisten, ohne sich darüber in Worten umständlich
zu verbreiten. Der „unmögliche Asket" befindet sich aber in einem (dekadenz-
grossen Stifters der la Trappe, Rance" abgewandt habe „unter den Worten:
,das ist Sache der Gnade"' und erklärt dies mit der Sehnsucht des Genius
„nach Heiligkeit" (KSA 1, 358, 27-30). Die Quelle hierfür ist Gwinner 1862, 108:
„Nie vergesse ich meinen Freund, als er einst bei mir das Bild Rance's, des
Abts von La Trappe sah und mit einer schmerzlichen Geberde sich wegwen-
dend sagte: das ist Sache der Gnade! Er wollte nicht mehr sein als ein Gelehr-
ter, kein Asket, geschweige denn ein Heiliger." M 192 verweist auf Armand Jean
Le Bouthillier de Rance (1626-1700) als „Gründer der Trappistenklöster" (KSA
3, 166, 2) in einer Aufzählung christlicher Erscheinungsformen der französi-
schen Kultur — unter dem Titel „Sich vollkommene Gegner wün-
schen" (KSA 3, 165, 11) — als denjenigen, der mit den „asketischen Ideale[n]
des Christenthums den letzten Ernst gemacht" habe (KSA 3, 166, 2 f.). Das wird
man von Rances, aus dem Kloster La Trappe ausgehenden, strengen Reformbe-
wegung innerhalb des Zisterzienserordens mit Recht sagen können.
83, 20 f. die Unfähigkeit, auf einen Reiz nicht zu reagiren, ist selbst bloss eine
andre Form der Degenerescenz.] Vgl. GD Was den Deutschen abgeht 6, KSA 6,
109, 3-5. N. attestiert diese scheinbar so degenerationstypische Unfähigkeit,
nicht zu reagieren, in GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 10 auch dem diony-
sisch Berauschten, vgl. NK 117, 30 f. EH Warum ich so klug bin 8 stellt die
lebenspraktische Maxime auf, sich Situationen zu entziehen, die einem zur
Reaktion auf Reize nötigen, vgl. NK KSA 6, 292, 27-31. Während die Trägheit,
auf Reize zu reagieren, nach Fere 1887, 133 ein Zeichen der Stärke ist, hatte N.
früher im Anschluss an und in Abgrenzung von Roux 1881, 111-209 mit dem
Begriff Reiz die Wirkungsweise der Willen zur Macht zum Ausdruck zu bringen
versucht (vgl. Müller-Lauter 1978, 214; Abel 1998, 93-95; Haaz 2002 und Reuter
2012; zur Frage von Aktivität und Reaktivität bes. Brusotti 2001). Roux 1881, 81
spricht vom „Kampf um den Reiz und Sieg durch Reizentziehung".
In GD treten derlei physiologisch abgesicherte Überlegungen in den Hinter-
grund.
83, 27-32 Man überschaue die ganze Geschichte der Priester und Philosophen,
der Künstler hinzugenommen: das Giftigste gegen die Sinne ist nicht von den
Impotenten gesagt, auch nicht von den Asketen, sondern von den unmöglichen
Asketen, von Solchen, die es nöthig gehabt hätten, Asketen zu sein...) In der
ersten Fassung in Heft W II 6, 43 f. (mitgeteilt oben in NK ÜK GD Moral als
Widernatur) wurde als ein solcher „unmöglicher Asket" noch ausdrücklich der
Kirchenvater Aurelius Augustinus (354-430) benannt — der richtige Asket, der
„Impotente" scheint demgegenüber im Einklang mit seinem Wesen zu sein und
daher einfach Verzicht zu leisten, ohne sich darüber in Worten umständlich
zu verbreiten. Der „unmögliche Asket" befindet sich aber in einem (dekadenz-