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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0374
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Stellenkommentar GD Irrthümer, KSA 6, S. 96 355

Jene sind eine begriffliche Hülfsconstruction mancher metaphysischer Sys-
teme; diese ist eine handgreifliche Thatsache der Erfahrung. Bei jenen kann es
sich fragen, ob sie mit dem wissenschaftlichen Causalitätsprincip verträglich
sind; bei jener handelt es sich nur darum, ob das thatsächlich Zweckmäßige
aus der allgemeinen causalen Naturgesetzlichkeit erklärbar sei oder nicht."
(Liebmann 1882, 90 f., Kursiviertes von N. unterstrichen. Vgl. Loukidelis 2007,
395 f.).
N. nimmt mit seiner Kritik an den Zwecken einen Gedanken auf, den er
überdies bei Spinoza gefunden hat: „dieser abnormste und einsamste Denker
ist mir gerade in diesen Dingen am nächsten: er leugnet die Willensfreiheit — ;
die Zwecke — ; die sittliche Weltordnung — ; das Unegoistische — ; das Böse —"
(N. an Overbeck, 30. 07. 1881, KSB 6, Nr. 135, S. 111, Z. 7-11). Die Quelle für N.s
damalige Spinoza-Begeisterung und Spinoza-Kenntnis war der entsprechende
Band aus Kuno Fischers Geschichte der neuern Philosophie, wo es u. a. heißt:
„Was in der Natur geschieht, folgt aus einer gegebenen Ursache, von der es
bewirkt wird, ohne bezweckt zu werden. Alles geschieht hier aus Gründen,
nichts nach Zwecken; Alles geschieht durch wirkende Ursachen, nichts nach
Endursachen. Denn der Zweck, wie er auch gefaßt werde, fordert ein Vermögen
der Selbstbestimmung, welches in dieser Ordnung der Dinge nicht stattfindet.
Der Zweckbegriff paßt nicht in die mathematische /234/ Denkweise. [...] Die
mathematischen Wahrheiten haben nur Gründe, aber keine Zwecke. Und wenn
in der Natur der Dinge Alles so nothwendig folgt, wie die Sätze in der Mathe-
matik, so giebt es überhaupt keine Zwecke, so ist der Zweck ein Unding in der
Welt, ein Ungedanke in meinem Kopf, eine unklare und verworrene Vorstel-
lung, nichts als eine wesenlose Imagination. So wird der Begriff der wirkenden
Ursachen dem der Finalursachen entgegengesetzt und die Möglichkeit der Zwe-
cke von Grund aus aufgehoben und verworfen. / Es giebt keine Zwecke weder
in den Dingen noch in den Handlungen. [...] In der Betrachtungsweise Spi-
noza's giebt es nichts, das anders sein könnte oder sollte als es in Wahrheit
ist" (Fischer 1865, 2, 233 f., vgl. ebd., 91).
96, 27-31 Man ist nothwendig, man ist ein Stück Verhängniss, man gehört zum
Ganzen, man ist im Ganzen, - es giebt Nichts, was unser Sein richten, messen,
vergleichen, verurtheilen könnte, denn das hiesse das Ganze richten, messen,
vergleichen, verurtheilen...] Vgl. GD Moral als Widernatur 6, KSA 6, 87, 7-9 und
Fere 1887, 68: „On peut donc fournir la demonstration experimentale de la
necessite de tous nos actes, et par consequent de cette proposition que la
volonte n'est autre chose qu'une reaction individuelle." („Man kann also die
Notwendigkeit aller unserer Handlungen durch ein Experiment demonstrieren,
folglich bedeutet dies, dass der Wille nichts anderes als eine individuelle Reak-
tion ist.").
 
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