Stellenkommentar GD Verbesserer, KSA 6, S. 99 363
nahm in Anspruch, ihn „verbessert" zu haben...] Hellwald 1877a, 2, 18 ist eine
mögliche Quelle für diesen Abschnitt: „Die rohen Stämme der Germanen muss-
ten demnach gezähmt, zum Gehorsam, zur Unterwürfigkeit gebracht werden,
damit aus ihnen staatliche Gemeinwesen, zu höherem Culturaufschwunge
befähigt, erwachsen konnten. Niemand hat aber die zähmende Kraft des Chris-
tenthums in Europa mehr verbreitet als die Klöster, deren sittlicher Entartung
hier schon das rauhere Klima zum Theile Schranken zog." Vgl. auch ebd., 32 f.:
„Dennoch war die Cultur dieser Völker eine noch überaus tiefe; doch sei nicht
vergessen, dass sie von vorne anfangen mussten. Ist /33/ dann zu wundern,
wenn die Deutschen erst in der Merowingerzeit aus dem Kreise halbwilder
Stämme heraustreten? Nun ward der erste Grund zu Entwilderung des inneren
Deutschland durch das Predigen des Christenthums gelegt." Als „Culturfort-
schritt" hatte N. dieselbe Geschichte bei Herrmann 1887, 144 präsentiert
bekommen: „Zuerst übernimmt die Kirche die Mission, die Menschen von
dem Uebel zu erlösen und zum Guten zu führen. Sie will den Teufel bannen
in den finstern Mächten der Natur durch Beschwörung und Gebet, durch Opfer
und Sühne; sie faßt auch den Teufel in Gestalt menschlicher Bosheit und Lei-
denschaft und zwingt ihn, sich dem allbeherrschenden Guten, der Macht Got-
tes zu unterwerfen. Der Kirchenbann, der Fluch und die Buße, die Androhung
ewiger Verdammniß und zeitlicher Nachtheile bändigen die Seele des unculti-
virten Menschen besser als weltliche Strafe, denn die Furcht vor der unver-
meidlichen Verdammniß wirkt mächtiger, als die Besorgniß vor dem in jener
Culturepoche noch gar schwachen und oft sogar noch dazu parteiischen Arme
weltlicher Gerechtigkeit. [...] Die Kirche der Feudalzeit oder des Mittelalters
aller Völker ist die erste souveräne, große Gebiete beherrschende Macht."
(Kursiviertes von N. unterstrichen; letzter Satz mit einem Randstrich markiert).
Zur Christianisierung der Germanen und der damit einhergehenden „Barbarisi-
rung des Christenthums" hat N. 1886 überdies Lippert 1882 rezipiert, vgl. NK
KSA 6, 189, 8-12 u. Orsucci 1996, 294-297. Schließlich hat auch Heine ähnliche
Überlegungen angestellt, siehe NK KSA 6, 189, 17-20. Sünde als Disziplinie-
rungsinstrument wird in AC 49, KSA 6, 228, 8-11 stark gemacht.
Müller 1887, 2, 68 berichtet von Sultan Mahmud von Ghazni, er habe sich
eine „Menagerie großer Geister" angelegt, der selbst Avicenna hätte angehören
sollen. Den Ausdruck „Menagerie" hat auch Paul Ree in seiner Schrift Der
Ursprung der moralischen Empfindungen (1877, 45) benutzt, um das Phänomen
der sozialen Disziplinierung zu schildern: „Jede staatliche Gemeinschaft ist
eine grosse Menagerie, in der Furcht vor Strafe und Furcht vor Schande die
Gitter sind, durch welche die Bestien davor abgehalten werden, sich einander
zu zerfleischen. Zuweilen brechen diese Gitter entzwei." (Ree 2004, 153; vgl.
ebd., 469 die Erläuterung mit Vergleichstellen bei Schopenhauer und Gobi-
neau).
nahm in Anspruch, ihn „verbessert" zu haben...] Hellwald 1877a, 2, 18 ist eine
mögliche Quelle für diesen Abschnitt: „Die rohen Stämme der Germanen muss-
ten demnach gezähmt, zum Gehorsam, zur Unterwürfigkeit gebracht werden,
damit aus ihnen staatliche Gemeinwesen, zu höherem Culturaufschwunge
befähigt, erwachsen konnten. Niemand hat aber die zähmende Kraft des Chris-
tenthums in Europa mehr verbreitet als die Klöster, deren sittlicher Entartung
hier schon das rauhere Klima zum Theile Schranken zog." Vgl. auch ebd., 32 f.:
„Dennoch war die Cultur dieser Völker eine noch überaus tiefe; doch sei nicht
vergessen, dass sie von vorne anfangen mussten. Ist /33/ dann zu wundern,
wenn die Deutschen erst in der Merowingerzeit aus dem Kreise halbwilder
Stämme heraustreten? Nun ward der erste Grund zu Entwilderung des inneren
Deutschland durch das Predigen des Christenthums gelegt." Als „Culturfort-
schritt" hatte N. dieselbe Geschichte bei Herrmann 1887, 144 präsentiert
bekommen: „Zuerst übernimmt die Kirche die Mission, die Menschen von
dem Uebel zu erlösen und zum Guten zu führen. Sie will den Teufel bannen
in den finstern Mächten der Natur durch Beschwörung und Gebet, durch Opfer
und Sühne; sie faßt auch den Teufel in Gestalt menschlicher Bosheit und Lei-
denschaft und zwingt ihn, sich dem allbeherrschenden Guten, der Macht Got-
tes zu unterwerfen. Der Kirchenbann, der Fluch und die Buße, die Androhung
ewiger Verdammniß und zeitlicher Nachtheile bändigen die Seele des unculti-
virten Menschen besser als weltliche Strafe, denn die Furcht vor der unver-
meidlichen Verdammniß wirkt mächtiger, als die Besorgniß vor dem in jener
Culturepoche noch gar schwachen und oft sogar noch dazu parteiischen Arme
weltlicher Gerechtigkeit. [...] Die Kirche der Feudalzeit oder des Mittelalters
aller Völker ist die erste souveräne, große Gebiete beherrschende Macht."
(Kursiviertes von N. unterstrichen; letzter Satz mit einem Randstrich markiert).
Zur Christianisierung der Germanen und der damit einhergehenden „Barbarisi-
rung des Christenthums" hat N. 1886 überdies Lippert 1882 rezipiert, vgl. NK
KSA 6, 189, 8-12 u. Orsucci 1996, 294-297. Schließlich hat auch Heine ähnliche
Überlegungen angestellt, siehe NK KSA 6, 189, 17-20. Sünde als Disziplinie-
rungsinstrument wird in AC 49, KSA 6, 228, 8-11 stark gemacht.
Müller 1887, 2, 68 berichtet von Sultan Mahmud von Ghazni, er habe sich
eine „Menagerie großer Geister" angelegt, der selbst Avicenna hätte angehören
sollen. Den Ausdruck „Menagerie" hat auch Paul Ree in seiner Schrift Der
Ursprung der moralischen Empfindungen (1877, 45) benutzt, um das Phänomen
der sozialen Disziplinierung zu schildern: „Jede staatliche Gemeinschaft ist
eine grosse Menagerie, in der Furcht vor Strafe und Furcht vor Schande die
Gitter sind, durch welche die Bestien davor abgehalten werden, sich einander
zu zerfleischen. Zuweilen brechen diese Gitter entzwei." (Ree 2004, 153; vgl.
ebd., 469 die Erläuterung mit Vergleichstellen bei Schopenhauer und Gobi-
neau).