Stellenkommentar GD Deutschen, KSA 6, S. 103-104 375
(1841): „Deutschland, Deutschland über Alles, / Ueber Alles in der Welt, /
Wenn es stets zu Schutz und Trutze / Brüderlich zusammenhält, / Von der
Maas bis an die Memel, / Von der Etsch bis an den Belt — / Deutschland,
Deutschland über Alles, / Ueber Alles in der Welt!" (Hoffmann von Fallersleben
1843, 16). Hoffmann von Fallersleben meinte dieses „brüderlich" im Sinne der
Fraternite; die im gleichen Lied beschworene Freiheit („Einigkeit und Recht
und Freiheit") nimmt die Liberte-Forderung der Französischen Revolution auf
und verbindet sie mit den nationalstaatlichen Einigungshoffnungen. Zunächst
war das „Lied der Deutschen" durchaus nicht expansionistisch gemeint, wenn
auch gegen die französischen Bestrebungen einer linksrheinischen Gebietsar-
rondierung gerichtet. Später hingegen wurde die von N. zitierte, erste Zeile
durchaus in den Dienst der Expansion gestellt. 1922 wurde das Lied der Deut-
schen Nationalhymne (heute ist dies nur noch die dritte Strophe). N. zitiert die
erste Zeile auch in EH WA 2, KSA 6, 358, 29.
104, 4-8 „Giebt es deutsche Philosophen? giebt es deutsche Dichter? giebt es
gute deutsche Bücher?" fragt man mich im Ausland. Ich erröthe, aber mit der
Tapferkeit, die mir auch in verzweifelten Fällen zu eigen ist, antworte ich: „Ja,
Bismarck!"] N.s gelegentliche Äußerungen zum Reichskanzler Otto von Bis-
marck sind ambivalent, in späterer Zeit mehrheitlich ablehnend, nicht zuletzt
angesichts von Bismarcks Zugeständnis gegenüber der Arbeiterklasse (vgl.
dazu z. B. Cameron / Dombowsky 2008, 22). Im Kontext der „Kriegserklärung"
(vgl. NK ÜK EH 1) attackieren ihn Nachlasstexte sogar als „Werkzeug" des
Hauses Hohenzollern, dem N. den „Todkrieg" erklären will: „Fürst Bismarck,
der Idiot par excellence unter allen Staatsmännern, hat nie eine Handbreit
über die Dyn(astie) Hohenzollern hinausgedacht" (NL 1888/89, KSA 13, 25[13],
643, 22-24). Anlass der späten Kritik an Bismarck ist, wie NL 1888, KSA 13,
25[18], 646, 9-11 zeigt, namentlich die sogenannte Geffcken-Affäre: „Das Reich
selber ist ja eine Lüge: kein Hohenzollern kein Bismarck hat je an Deutschland
gedacht... Daher die Wuth gegen Prof. Geffcken..." Der Diplomat und Völker-
rechtler Friedrich Heinrich Geffcken (1830-1896) hatte sich politisch gegen Bis-
marck positioniert. Bismarck wiederum nutzte Geffckens Veröffentlichung von
Kriegstagebuchnotizen des jüngst verstorbenen, ihm als Jugendfreund verbun-
denen und liberal gesinnten Kaisers Friedrich III. in der Deutschen Rundschau
(am 20. September 1888) dazu, Geffcken für drei Monate wegen Hochverrats
inhaftieren zu lassen. Schließlich wurde die Anklage fallen gelassen.
Was Bismarcks literarische Fähigkeiten anlangt, so besaß N. immerhin eine
dreibändige Ausgabe seiner Reden (Bismarck 1882). Sein Lobpreis auf Bismarck
als Dichter und Denker kann als Antwort auf die Lektüre von Carl Bleibtreus
Revolution der Literatur verstanden werden (zu dieser Lektüre vgl. NK KSA 6,
50, 22-24), der mit ätzendem Spott über Bismarcks literarisches Desinteresse
(1841): „Deutschland, Deutschland über Alles, / Ueber Alles in der Welt, /
Wenn es stets zu Schutz und Trutze / Brüderlich zusammenhält, / Von der
Maas bis an die Memel, / Von der Etsch bis an den Belt — / Deutschland,
Deutschland über Alles, / Ueber Alles in der Welt!" (Hoffmann von Fallersleben
1843, 16). Hoffmann von Fallersleben meinte dieses „brüderlich" im Sinne der
Fraternite; die im gleichen Lied beschworene Freiheit („Einigkeit und Recht
und Freiheit") nimmt die Liberte-Forderung der Französischen Revolution auf
und verbindet sie mit den nationalstaatlichen Einigungshoffnungen. Zunächst
war das „Lied der Deutschen" durchaus nicht expansionistisch gemeint, wenn
auch gegen die französischen Bestrebungen einer linksrheinischen Gebietsar-
rondierung gerichtet. Später hingegen wurde die von N. zitierte, erste Zeile
durchaus in den Dienst der Expansion gestellt. 1922 wurde das Lied der Deut-
schen Nationalhymne (heute ist dies nur noch die dritte Strophe). N. zitiert die
erste Zeile auch in EH WA 2, KSA 6, 358, 29.
104, 4-8 „Giebt es deutsche Philosophen? giebt es deutsche Dichter? giebt es
gute deutsche Bücher?" fragt man mich im Ausland. Ich erröthe, aber mit der
Tapferkeit, die mir auch in verzweifelten Fällen zu eigen ist, antworte ich: „Ja,
Bismarck!"] N.s gelegentliche Äußerungen zum Reichskanzler Otto von Bis-
marck sind ambivalent, in späterer Zeit mehrheitlich ablehnend, nicht zuletzt
angesichts von Bismarcks Zugeständnis gegenüber der Arbeiterklasse (vgl.
dazu z. B. Cameron / Dombowsky 2008, 22). Im Kontext der „Kriegserklärung"
(vgl. NK ÜK EH 1) attackieren ihn Nachlasstexte sogar als „Werkzeug" des
Hauses Hohenzollern, dem N. den „Todkrieg" erklären will: „Fürst Bismarck,
der Idiot par excellence unter allen Staatsmännern, hat nie eine Handbreit
über die Dyn(astie) Hohenzollern hinausgedacht" (NL 1888/89, KSA 13, 25[13],
643, 22-24). Anlass der späten Kritik an Bismarck ist, wie NL 1888, KSA 13,
25[18], 646, 9-11 zeigt, namentlich die sogenannte Geffcken-Affäre: „Das Reich
selber ist ja eine Lüge: kein Hohenzollern kein Bismarck hat je an Deutschland
gedacht... Daher die Wuth gegen Prof. Geffcken..." Der Diplomat und Völker-
rechtler Friedrich Heinrich Geffcken (1830-1896) hatte sich politisch gegen Bis-
marck positioniert. Bismarck wiederum nutzte Geffckens Veröffentlichung von
Kriegstagebuchnotizen des jüngst verstorbenen, ihm als Jugendfreund verbun-
denen und liberal gesinnten Kaisers Friedrich III. in der Deutschen Rundschau
(am 20. September 1888) dazu, Geffcken für drei Monate wegen Hochverrats
inhaftieren zu lassen. Schließlich wurde die Anklage fallen gelassen.
Was Bismarcks literarische Fähigkeiten anlangt, so besaß N. immerhin eine
dreibändige Ausgabe seiner Reden (Bismarck 1882). Sein Lobpreis auf Bismarck
als Dichter und Denker kann als Antwort auf die Lektüre von Carl Bleibtreus
Revolution der Literatur verstanden werden (zu dieser Lektüre vgl. NK KSA 6,
50, 22-24), der mit ätzendem Spott über Bismarcks literarisches Desinteresse