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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0418
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Stellenkommentar GD Streifzüge, KSA 6, S. 111 399

notiert N.: „Ich perhorreszire seine Gemeinheit, welche sagt ,was dem Einen
recht ist, ist dem Andern billig; was du nicht willst usw., das füge auch keinem
Andern zu'; welche den ganzen menschlichen Verkehr auf Gegenseitigkeit
der Leistung begründen will, so daß jede Handlung als eine Art Abzahlung
erscheint". All diese Invektivik kann doch nicht ganz den Verdacht ausräumen,
dass sich Mills und N.s Ansätze in der Freiheitsphilosophie ähnlicher sind, als
N. zuzugestehen bereit war (dazu NK ÜK GD Streifzüge eines Unzeitgemässen
38, ausgiebig zu Mill und N. auf dem Hintergrund von N.s einschlägigen Lektü-
ren Fornari 2009, 172-252, ferner Brose 1974).
111, 14 f. Les freres de Goncourt: oder die beiden Ajaxe im Kampf mit
Homer.] Die beiden Ajaxe der griechischen Mythologie waren freilich keine Brü-
der: Ajax der Lokrer oder der Kleine, war unter den griechischen Belagerern
Trojas besonders für seine Schnelligkeit berühmt, soll sich an Kassandra ver-
gangen und sie entführt haben (was die Odyssee freilich verschweigt). Jeden-
falls handelt er sich den Zorn Athenes ein, die ihn Schiffbruch erleiden lässt.
Er wäre von Poseidon gerettet worden, hätte er nicht verkündet, er bedürfe
zum Überleben göttlicher Hilfe nicht. Ajax der Große, Sohn des Telamon, nach
Achill der tapferste griechische Held, bekommt nach Achills Tod dessen Waffen
nicht, da sie an Odysseus fallen, metzelt daraufhin im Wahn eine Schafherde,
die er für die Griechen hält, und stürzt sich, wieder zu sich gekommen, in sein
Schwert.
Edmond (1822-1896) und Jules (1830-1870) Huot de Goncourt werden —
daher die Ajax- Parallele — in GD ebenfalls als Frevler dargestellt, nämlich als
Frevler an der Kunst, so in GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 7: „Was wird
daraus, wenn man es anders macht? Zum Beispiel nach Art der Pariser roman-
ciers gross und klein Colportage-Psychologie treibt? [...] Aber man sehe nur,
was zuletzt herauskommt — ein Haufen von Klecksen [...]. Das Schlimmste
darin erreichen die Goncourt: sie setzen nicht drei Sätze zusammen, die nicht
dem Auge, dem Psychologen-Auge einfach weh thun. — [...] Das Studium
,nach der Natur' scheint mir ein schlechtes Zeichen: es verräth Unterwerfung,
Schwäche, Fatalismus, — dies Im-Staube-Liegen vor petits faits ist eines gan-
zen Künstlers unwürdig." (115, 17-31, vgl. zur Quelle bei Bourget NK 115, 22-
26) Die Homerischen Epen sind für N. gerade das Gegenstück zu dieser Art der
um große Gesamtkompositionen verlegenen, im Detail sich verlierenden, nur
die Einzelheiten, aber nicht die Gesamtheit der Wirklichkeit erfassenden Art
von Literatur (dazu vgl. NK 115, 28-31). Entsprechend heißt es im Journal des
Goncourt: „je pris la voix plus douce pour affirmer que j'avais plus de plaisir
ä lire Hugo qu'Homere" (Goncourt 1888, 3, 80, vgl. ebd., 79 — „ich sprach mit
meiner sanftesten Stimme um zu bekräftigen, dass mir die Lektüre von Hugo
mehr Freude bereite als die Lektüre von Homer").
 
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