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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0456
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Stellenkommentar GD Streifzüge, KSA 6, S. 117 437

andere Gebrauch gemacht, beispielsweise Martin Heidegger, vgl. dazu ausführ-
lich Därmann 2005, 124-162; zum Rauschkonzept in GD Caysa 1999, 57-59; zur
Begriffsentwicklung des Dionysischen bei N. Schäfer 2011.
117, 22-25 Der apollinische Rausch hält vor Allem das Auge erregt, so dass es
die Kraft der Vision bekommt. Der Maler, der Plastiker, der Epiker sind Visionäre
par excellence.] Der Passus ist wenig auskunftsfreudig zur Spezifität des apolli-
nischen Rausches: Alles, was zum Apollinischen hier gesagt wird, hätte auch
schon in GT stehen können — eben nur nicht, dass es sich hierbei gleichfalls
um einen Rauschzustand handle. Vgl. NK 117, 20-22.
117, 30-32 die Unfähigkeit, nicht zu reagiren (— ähnlich wie bei gewissen
Hysterischen, die auch auf jeden Wink hin in jede Rolle eintreten)] Der Hinweis
auf das Verhalten von Hysterikern nimmt unmittelbar die zeitgenössische
medizinische Bestimmung der Hysterie auf: „Die sich allmählig entwi-
ckelnde abnorme Reflexerregbarkeit in der sensiblen, moto-
rischen und psychischen Sphäre, ohne dass entsprechende anatomi-
sche Veränderungen in den Centralorganen (Gehirn und Rückenmark)
vorhanden sind, bildet den Grundzug der Hysterie. / Die abnorme Reflexerreg-
barkeit in der psychischen Sphäre ist [...] gesteigert („nervöse Reiz-
barkeit") und documentirt sich durch psychische Erregung, Empfindlichkeit
gegen alle Reize und psychische Eindrücke, so dass weit umfänglichere Vor-
stellungen entstehen, als den realen Eindrücken entspricht, ferner Launenhaf-
tigkeit, Exaltation, Sucht, der Umgebung den eigenen Krankheitszustand ja
recht bemitleidenswerth, grossartig und aussergewöhnlich darzustellen."
(Kunze 1881, 98, vgl. auch Bock 1870, 661-664) Demgegenüber gilt es in EH
Warum ich so klug bin 8 (KSA 6, 292, 27 f.) für klug, möglichst ganz auf Reagie-
ren zu verzichten — wobei nach Kunze 1881, 98 „characteristisch für Hysterie
ist das plötzliche und ohne Grund erfolgende Umschlagen der gesteigerten
in die geschwächte psychische Reflexerregbarkeit und umgekehrt".
In der Beschreibung, die NL 1888, KSA 13, 14[46], 240, 18 f. (korrigiert nach
KGW IX 8, W II 5, 165, 51-54) gibt, scheint gerade das „Schwer reagiren: ein
grosses Bewußtsein: kein Gefühl von Kampf" für den dionysischen Rausch
symptomatisch zu sein: „Die extreme Ruhe gewisser Rauschemp-
findungen (strenger: die Verlangsamung des Zeit- und Raumgefühls^) spie-
gelt sich hinein in die Vision der ruhigsten Gebärden und Seelen-Acte." Der
Hysteriker ist in dieser auf Fere anspielenden Nachlassnotiz dem dionysisch
Berauschten gerade entgegengesetzt. Nach Fere 1887, 132 f. charakterisiert die
Degenerierten „une necessite de reaction tellement urgente et intense que la
representation mentale des consequences de l'acte se trouve completement
effacee" („eine Notwendigkeit so unmittelbarer und heftiger Reaktion, dass die
 
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