Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0457
License: In Copyright

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
438 Götzen-Dämmerung

mentale Vorstellung der Konsequenzen dieser Reaktion vollkommen ausge-
löscht wird"). In GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 10 wird im Vergleich zu
14[46] der dionysische Rausch also genau entgegengesetzt beschrieben, was
N.s situatives Sprechen exemplarisch veranschaulicht. Vgl. auch GD Was den
Deutschen abgeht 6, KSA 6, 108, 30-109, 9; zur Hysterie NK 94, 5-7.
117, 32-118, 2 Es ist dem dionysischen Menschen unmöglich, irgend eine Sug-
gestion nicht zu verstehn] Vgl. Fere 1887, 116-119: „La suggestion mentale". Dort
ist dann auch die „induction psycho-motrice" (118) beschrieben, die N. in den
einschlägigen Überlegungen NL 1888, KSA 13, 14[119], 297 (KGW IX 8, W II 5,
100, 60) und andernorts aufgreift, vgl. NK 119, 1-8. Eine ähnliche Richtung
schlägt Fere 1888, 104 f. ein: „II faut remarquer que cette sensibilite maladive,
cette diathese d'irritabilite, qui constitue en quelque sorte le premier degre de
la degenerescence, est, en somme, la condition biologique la plus favorable
ä l'art, c'est-ä-dire ä l'ensemble des moyens d'expression et de propagation
d'emotions. Si nous reconnaissons que les poetes, les litterateurs, les /105/
artistes de tout ordre, c'est-ä-dire ceux qui sont au plus haut degre en posses-
sion des moyens d'expression et de propagation des emotions, ne peuvent
jouir de cette propriete qu'en raison d'une emotivite extreme, emotivite qui
s'accentue d'äge en äge et se traduit par un perfectionnement incessant de
l'art, nous devrons en conclure qu'ils sont plus capables de nous renseigner
sur la direction des tendances degeneratives que sur l'etat physiologique de la
race." („Man muss festhalten, dass diese kränkliche Sensibilität, diese Dia-
these zur Irritierbarkeit, die eigentlich den ersten Grad der Degenerescenz dar-
stellt, in der Summe die biologisch günstigste Voraussetzung der Kunst ist,
also der Gesamtheit aller Mittel des Ausdrucks und der Gefühlsausbreitung.
Wenn wir erkennen, dass die Dichter, die Literaten und die /105/ Künstler aller
Art, also jene Menschen die in höchstem Maße im Besitz von Mitteln des Aus-
drucks und der Gefühlsausbreitung sind, sich dieser Fähigkeit nur erfreuen
wegen einer extremen Empfindsamkeit; einer Empfindsamkeit, die sich von
Zeitalter zu Zeitalter akzentuiert und sich durch eine unablässige Perfektionie-
rung der Kunst überliefert, dann werden wir daraus schließen müssen, dass
jene Menschen uns besser über die Richtung der degenerativen Tendenzen
informieren können als über den physiologischen Zustand der Rasse").
118, 9 Histrionismus] Unter Histrionismus wird die Tendenz zu dramatischen
Verhaltensweisen verstanden, nach dem lateinischen Substantiv histrio, dem
Schauspieler im alten Rom. N. bedient sich der ursprünglichen Vokabel, die
übrigens auch in der von ihm in GM I 15 lateinisch zitierten Passage aus Tertul-
lians De spectaculis vorkommt (KSA 5, 285, 2), in der Polemik gegen Wagner,
dort jedoch in dezidiert abschätzigem Sinn, vgl. NK KSA 6, 30, 4.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften