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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0461
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442 Götzen-Dämmerung

Stil von sich. —] Der „grosse Stil", die „maniera grande" (Giorgio Vasari) gilt —
so rapportiert es etwa Heinrich Wölfflin 1888 in Renaissance und Baroclc — als
wesentliches Charakteristikum der barocken Architektur, nämlich die „Kompo-
sition aufs Grosse" (Wölfflin 2009, 39). Wölfflin räumt übrigens für den Ver-
such, die Entstehung des Barock zu verstehen, einer psychologischen Betrach-
tungsweise durchaus partielles Recht ein (ebd., 82-86), während er in Richard
Wagner einen mit dem italienischen Barock verwandten Komponisten findet
(ebd., 96). Ähnliche Überlegungen stellt N. in NL 1888, KSA 13, 14[61], 246-248
(KGW IX 8; W II 5, 152-153, 24-32) an: „,Musik' - und der große Styl".
N. richtet seine „Psychologie des Künstlers" kontinuierlich neu aus und
zwar auf seine (Wille-zur-) Macht-Konzeption, die im Spätwerk zu einem domi-
nierenden Thema wird. GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 10 führen die aus
GT bekannte Dichotomie apollinisch/dionysisch als Differenzierungskriterium
ein, das dann in Abschnitt 11 zurückgestellt wird, um die Macht zum Differenzie-
rungskriterium von Kunst und Künstler und insbesondere auch „grossem Stil"
zu machen. Ihn hält N. jetzt offenbar für erstrebenswert, während er in WA 1
„die Lüge des grossen Stils" (KSA 6, 14, 5) im Blick auf Wagner noch gegeißelt
hatte. GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 10 hatte den dionysischen Künstler
dem Hysteriker angenähert, weil er immerzu zu Reaktion genötigt ist (vgl NK
117, 30-32); 119, 1-8 und noch expliziter NL 1888, KSA 13, 14[46], 240 (KGW IX
8, W II 5, 165, 48-62) stellen den Machtrauschkünstler hingegen als absolut
souverän dar — eben gerade nicht zu irgendeiner Form von Reaktion gezwun-
gen. Dieser Künstlertyp jenseits des Dionysischen und Apollinischen ist not-
wendig, weil er allein jene Souveränität vollständig verkörpert, die N. hier dem
Kunstschaffen zuschreibt. Ein Gerüst dieser Überlegungen gibt NL 1888,
KSA 13, 17[9], 529 f. Dort wird zwar auch (in Anlehnung an Fere) die pathologi-
sche Seite der dionysischen Berauschung betont, aber der tragische Künstler
noch als Option offengehalten (er kehrt dann in GD Streifzüge eines Unzeitge-
mässen 24 wieder): „Zur Physiologie der Kunst. / 1. der Rausch als
Voraussetzung: Ursachen des Rausches. / 2. typische Symptome des Rausches /
3. das Kraft- und Füllegefühl im Rausche: seine idealisirende Wirkung /
4. das thatsächliche Mehr von Kraft: seine thatsächliche Verschönerung.
Erwägung: in wiefern unser Werth ,schön' vollkommen anthropocen-
trisch ist: auf biologischen Voraussetzungen über Wachsthum und Fort-
schritt. Das Mehr von Kraft z. B. beim Tanz der Geschlechter. Das Krankhafte
am Rausche; die physiologische Gefährlichkeit der Kunst — / 5. das Apollini-
sche, das Dionysische... Grundtypen: umfänglicher, verglichen mit unseren
Sonder-Künsten / 6. Frage: wohin die Architektur gehört / 7. die Mitarbeit der
künstlerischen Vermögen am normalen Leben, ihre Übung tonisch: umgekehrt
das Häßliche / 8. die Frage der Epidemie und der Contagiosität / 9. Problem
 
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