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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0469
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450 Götzen-Dämmerung

bei Rolph 1884, 114 f. — sein Konzept der Macht und ihrer Steigerung ein,
bestreitet aber zugleich, was Rolph eigentlich interessiert, nämlich die „Ver-
vollkommnung" („Problem der Vervollkommnung" heißt das einschlägige
Kapitel Rolph 1884, 71-121), die Rolph in eine ethische Maxime ummünzt:
„Unsere Lebensvorschrift an alle uns Nahestehende ist: Vorwärts! Strebe
Dich zu verbessern!" (Rolph 1884, 120) Gerade die Perfektionierung als
nicht intendiertes Produkt der Entwicklung weist N. ab (vgl. NK 120, 30-32).
Er wendet sich hier also nicht nur gegen Darwin (und Haeckel, vgl. Haeckel
1874b, 225-249), sondern — nur für die Eingeweihten entzifferbar — auch gegen
seinen eigenen antidarwinistischen Gewährsmann Rolph, um so noch in der
Adaption von fremdem Gedankengut seine intellektuelle Souveränität zu
beweisen. Zur systematischen Interpretation von N.s Antidarwinismus siehe
auch Skowron 2008, Stegmaier 1987 und Choung 1980, 62-153, zur Darwin-
Rezeption in Deutschland allgemein Kelly 1981.
120, 19 Anti-Darwin.] Das Präfix „anti" bedeutet nicht nur „gegen", son-
dern auch „an Stelle von".
120, 25 Man soll nicht Malthus mit der Natur verwechseln.] Rolph 1884, 86:
Darwin „hat sich offenbar durch das Malthus'sche Gesetz etwas zu sehr
bestechen lassen; und die Anwendung dieses Gesetzes bedeutet Mangel und
immer wieder Mangel." (Vgl. auch ebd., 82) Thomas Robert Malthus hat
bekanntlich im Essay on the Principle of Population (1798) die These zum
Gesetz erklärt, ein geometrisches Wachstum der Bevölkerung stehe einem nur
arithmetischen Wachstum der Nahrungsressourcen gegenüber, was notwendi-
gerweise zu Hunger und Elend führen müsse. Rolph und N. gehen hingegen
vom Überfluss der Ressourcen aus. Vgl. auch Müller-Lauter 1978, 222 f.
120, 30-32 Die Gattungen wachsen nicht in der Vollkommenheit: die Schwa-
chen werden immer wieder über die Starken Herr, - das macht, sie sind die
grosse Zahl, sie sind auch klüger... ] Vgl. NK 120, 19-24 u. NK KSA 6, 171, 2-5
(Nägeli 1884, 285 als Inspirationsquelle). Auch bei Haeckel 1874b, 249 heißt
es: „Im Großen und Ganzen beruht der Fortschritt selbst auf der Differenzirung
und ist daher gleich dieser eine unmittelbare Folge der natürlichen Züchtung
durch den Kampf um's Dasein." Dezidiert das Fortschrittsdenken mit der Selek-
tionstheorie in Einklang zu bringen versuchte Ludwig Büchner in seiner mehr-
fach aufgelegten Darstellung der Darwin'schen Theorie (Büchner 1876, 245-
300). Er findet kulturhistorische Belege dafür, dass man „die Idee von einem
ewigen Fortschritt oder einem aufsteigenden Entwicklungs-Gang" für einen
„wohlwollende[n] Traum" (ebd., 259) gehalten und geglaubt hat, „daß sich
/260/ vielmehr Alles in einem ewigen Kreislaufe bewegt, der schließlich
immer wieder in sich selbst zurückkehrt, ähnlich dem bekannten Bilde der
 
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