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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0478
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Stellenkommentar GD Streifzüge, KSA 6, S. 122-123 459

„Kompromittieren (lat.), bloßstellen, in Gefahr setzen." Nach 122, 24-29 stellt
man sich durch seine klaren Positionsbezüge bloß, d. h. man zeigt, wer man
ist. Zum Motiv des Sich-Kompromittierens siehe Stegmaier 1994, 6.

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In Mp XVII trägt dieser Abschnitt den Titel „Aesthetica. / Grundeinsicht:
was ist schön und hässlich?" (KSA 14, 426; NL 1888, vgl. KSA 13, 16[40], 498,
6 f.).
123, 8 Schön und hässlich] Vgl. zur Psychologie der Kunst und des Schö-
nen Guyau 1887, 368-370. In NW Wo ich Einwände mache, KSA 6, 418, 23 wird
der Gedanke von GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 19 zusammengefasst im
Satz: „Ästhetik ist ja nichts als eine angewandte Physiologie."
123, 8-15 Nichts ist bedingter, sagen wir beschränkter, als unser Gefühl
des Schönen. Wer es losgelöst von der Lust des Menschen am Menschen denken
wollte, verlöre sofort Grund und Boden unter den Füssen. Das „Schöne an sich"
ist bloss ein Wort, nicht einmal ein Begriff. Im Schönen setzt sich der Mensch als
Maass der Vollkommenheit; in ausgesuchten Fällen betet er sich darin an. Eine
Gattung kann gar nicht anders als dergestalt zu sich allein Ja sagen.] Einen
ähnlichen Ansatz konnte N. in der kantianisierenden Ästhetik Liebmanns fin-
den: „Daher kann die Cardinalfrage der Aesthetik nur lauten: ,Weshalb finden
wir den Gegenstand schön?', nie aber ,Wes-/579/halb ist er an und für sich
schön?' Er ist es eben garnicht, sobald man vom Schönheitsgefühl abstrahirt;
er ist an sich ebensowenig schön oder häßlich, als an sich groß oder klein.
Wir so und so organisirten, sehenden, hörenden, empfindenden, imaginiren-
den Wesen, wir, die wir solche Augen, solche Ohren, diese Intelligenz, dieses
auf solche Anregungen so reagirende Gemüth besitzen, wir finden ihn
schön. [...] Trieben die Störche Aesthetik, so würde ihnen wohl die Gestalt
des Menschen viel zu kurz, gedrungen, rundlich, dick und plump erscheinen,
ungefähr so wie uns ein fetter Mops." (Liebmann 1880, 578 f.) Was aber bei
Liebmann fehlt, ist der in 123, 16 hervorgehobene Selbsterhaltungs- und Selbst-
erweiterungsinstinkt, mit dem N. das ästhetische Urteil evolutionsbiologisch
unterfüttert, anstatt das Schöne wie Liebmann 1880, 580 mit Kant in die
Sphäre dessen zu verlegen, „was ohne Interesse wohlgefällt". Die „Lust
des Menschen am Menschen" (123, 10) ist die genaue Kontrafaktur eines inte-
resselosen Wohlgefallens.
Was „das Schöne an sich" (avTÖ to koäöv) sei, lässt schon Platon seinen
Sokrates fragen (vgl. Hippias Maior 289d); die Rede der Diotima im Symposion
 
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