Stellenkommentar GD Streifzüge, KSA 6, S. 126-127 469
126, 24-26 Was wuchs zuletzt aus dieser philosophischen Erotik Plato's
heraus? Eine neue Kunstform des griechischen Agon, die Dialektik.] In GD Das
Problem des Sokrates 8 galt das als eine Sokratische Innovation, vgl. NK 71, 7-
9. Auch in 126, 24-26 wird wieder das Sexuelle und das Agonale in provokativer
Absicht kontaminiert.
126, 26-32 Ich erinnere noch, gegen Schopenhauer und zu Ehren Plato's,
daran, dass auch die ganze höhere Cultur und Litteratur des klassischen
Frankreichs auf dem Boden des geschlechtlichen Interesses aufgewachsen ist.
Man darf überall bei ihr die Galanterie, die Sinne, den Geschlechts-Wettbewerb,
das „Weib" suchen, — man wird nie umsonst suchen...] Über die Galanterie des
siede classique konnte N. beispielsweise bei Faguet o. J., 141 im Kapitel über
Corneille lesen: „Or, ä partir de 1630 environ, la galanterie devient preciosite.
[...] La galanterie-preciosite se transforme en une sorte de metaphysique amou-
reuse tres elevee et tres subtile, analogue ä celle des cours d'amour du moyen
äge. La ,gloire‘ pour l'homme consiste ä avoir une ,belle passion' inspiratrice
de toutes les vertus. ,La gloire' pour la femme consiste ä inspirer l'amour sans
le ressentir, ä se garder de la servilite qui est la marque des amours vulgaires
et ä conserver une fermete qui n'est pas ,illustre' si elle n'est excessive."
(„Ungefähr ab 1630 wird die Galanterie zu Geziertheit. [...] Die Galanterie-
Geziertheit verwandelt sich in eine Art sehr hohe und sehr subtile Liebesmeta-
physik, ähnlich derjenigen an den Liebeshöfen im Mittelalter. Der ,Rühm' für
den Mann besteht darin, eine alle Tugenden inspirierende ,schöne Leiden-
schaft' zu haben. ,Der Rühm' für die Frau besteht darin, die Liebe zu entflam-
men, ohne sie selbst zu fühlen, sich vor Servilität, die ein Zeichen der vulgären
Liebe ist, zu hüten und eine Standhaftigkeit zu bewahren, die nicht ,illuster'
ist, wenn sie nicht exzessiv ist").
24
Vgl. NL 1887, KSA 12, 9[119], 404 f. (KGW IX 6, W II 1, 49, 32-42-50).
127, 2 L'artpour l'art. —] Die Formel „Kunst für die Kunst", die die Selbst-
zweckhaftigkeit künstlerischen Tuns zum Ausdruck bringen soll, wurde
geprägt vom französischen Philosophen Victor Cousin in seinen Vorlesungen
Cours de philosophie sur le fondement des idees absolues du Vrai, du Beau et
du Bien: „II faut de la religion pour la religion, de la morale pour la morale,
comme de l'art pour l'art." (Cousin 1840, 413. „Es braucht eine Religion für die
Religion, eine Moral für die Moral wie eine Kunst für die Kunst.") N. dürfte
Cousin freilich nie im Original gelesen, sondern die Wendung als ästhetisches
126, 24-26 Was wuchs zuletzt aus dieser philosophischen Erotik Plato's
heraus? Eine neue Kunstform des griechischen Agon, die Dialektik.] In GD Das
Problem des Sokrates 8 galt das als eine Sokratische Innovation, vgl. NK 71, 7-
9. Auch in 126, 24-26 wird wieder das Sexuelle und das Agonale in provokativer
Absicht kontaminiert.
126, 26-32 Ich erinnere noch, gegen Schopenhauer und zu Ehren Plato's,
daran, dass auch die ganze höhere Cultur und Litteratur des klassischen
Frankreichs auf dem Boden des geschlechtlichen Interesses aufgewachsen ist.
Man darf überall bei ihr die Galanterie, die Sinne, den Geschlechts-Wettbewerb,
das „Weib" suchen, — man wird nie umsonst suchen...] Über die Galanterie des
siede classique konnte N. beispielsweise bei Faguet o. J., 141 im Kapitel über
Corneille lesen: „Or, ä partir de 1630 environ, la galanterie devient preciosite.
[...] La galanterie-preciosite se transforme en une sorte de metaphysique amou-
reuse tres elevee et tres subtile, analogue ä celle des cours d'amour du moyen
äge. La ,gloire‘ pour l'homme consiste ä avoir une ,belle passion' inspiratrice
de toutes les vertus. ,La gloire' pour la femme consiste ä inspirer l'amour sans
le ressentir, ä se garder de la servilite qui est la marque des amours vulgaires
et ä conserver une fermete qui n'est pas ,illustre' si elle n'est excessive."
(„Ungefähr ab 1630 wird die Galanterie zu Geziertheit. [...] Die Galanterie-
Geziertheit verwandelt sich in eine Art sehr hohe und sehr subtile Liebesmeta-
physik, ähnlich derjenigen an den Liebeshöfen im Mittelalter. Der ,Rühm' für
den Mann besteht darin, eine alle Tugenden inspirierende ,schöne Leiden-
schaft' zu haben. ,Der Rühm' für die Frau besteht darin, die Liebe zu entflam-
men, ohne sie selbst zu fühlen, sich vor Servilität, die ein Zeichen der vulgären
Liebe ist, zu hüten und eine Standhaftigkeit zu bewahren, die nicht ,illuster'
ist, wenn sie nicht exzessiv ist").
24
Vgl. NL 1887, KSA 12, 9[119], 404 f. (KGW IX 6, W II 1, 49, 32-42-50).
127, 2 L'artpour l'art. —] Die Formel „Kunst für die Kunst", die die Selbst-
zweckhaftigkeit künstlerischen Tuns zum Ausdruck bringen soll, wurde
geprägt vom französischen Philosophen Victor Cousin in seinen Vorlesungen
Cours de philosophie sur le fondement des idees absolues du Vrai, du Beau et
du Bien: „II faut de la religion pour la religion, de la morale pour la morale,
comme de l'art pour l'art." (Cousin 1840, 413. „Es braucht eine Religion für die
Religion, eine Moral für die Moral wie eine Kunst für die Kunst.") N. dürfte
Cousin freilich nie im Original gelesen, sondern die Wendung als ästhetisches