550 Götzen-Dämmerung
belohnenden' Gott; das ist die gesamte Sozialphilosophie von Voltaire.") In der
Französischen Revolution ab 1789 kommt „la canaille", das Lumpengesindel,
nach N.s voltairisierender Lesart an die Macht. Zum Thema ausführlich Marti
1993, ferner Ottmann 1999, 156-163.
150, 19-26 Die blutige farce, mit der sich diese Revolution abspielte, ihre „Im-
moralität", geht mich wenig an: was ich hasse, ist ihre Rousseau'sche Morali-
tät - die sogenannten „Wahrheiten" der Revolution, mit denen sie immer noch
wirkt und alles Flache und Mittelmässige zu sich überredet. Die Lehre von der
Gleichheit!... Aber es giebt gar kein giftigeres Gift: denn sie scheint von der
Gerechtigkeit selbst gepredigt, während sie das Ende der Gerechtigkeit ist...]
Die Kritik an der einen Losung der Französischen Revolution, egalite, der
Gleichheit, ist bei N. ein Dauerthema, dem er beispielsweise in Za II Von den
Taranteln, KSA 4, 128-131 exemplarischen Ausdruck gibt, vgl. ausführlich NK
138, 15-18.
150, 26-28 „Den Gleichen Gleiches, den Ungleichen Ungleiches - das wäre
die wahre Rede der Gerechtigkeit: und, was daraus folgt, Ungleiches niemals
gleich machen."] In einer ersten Sammlung von Notaten stand dieser Passus
allein: „,Den Gleichen Gleiches, den Ungleichen Ungleiches — so spricht uns
die Gerechtigkeit. Und was daraus folgt, Ungleiches niemals gleich machen.'"
(NL 1888, KSA 13, 15[118], 479, 9-11) Es geht hier um das Prinzip der Vertei-
lungsgerechtigkeit, iustitia distributiva nach Aristoteles: Nikomachische Ethik
V, die „auf dem Grundsatze" beruht, „dass den Gleichen Gleiches, den Unglei-
chen Ungleiches zuertheilt werde" (Lasson 1882, 59). N. hat die Formulierung
jedoch aus anderer Quelle, nämlich aus Baumann 1879, 177, wo Gerechtigkeit
als eine der „bei den Alten gefeierten Cardinaltugenden" erscheint: „Gerechtig-
keit, die jedem das ihm Zukommende giebt, den Gleichen Gleiches, den Unglei-
chen Ungleiches. Es waren die (geforderten) Tugenden der wohlsituirten Klas-
sen, welche wegen ihrer Wohlsituirtheit neigten 1) zur Gedankenlosigkeit, 2)
zum Vergnügen, 3) zur Scheu vor Anstrengung und 4) zur Vorwegnahme des
Besten oder der Güter für sich" (Kursiviertes von N. unterstrichen, Durchgestri-
chenes von ihm durchgestrichen). Baumanns Handbuch der Moral ist auch als
Quelle für eine Stelle in Za II Von den Taranteln, KSA 4, 129, 17 f. identifiziert
worden (Götz 1995, 407); zur großen Bedeutung von Baumanns Werk für N.
siehe Brusotti 1997, 33-56 u. ö.
150, 28-151, 2 Dass es um jene Lehre von der Gleichheit herum so schauerlich
und blutig zugieng, hat dieser „modernen Idee" par excellence eine Art Glorie
und Feuerschein gegeben, so dass die Revolution als Schauspiel auch die
edelsten Geister verführt hat. Das ist zuletzt kein Grund, sie mehr zu achten. —
Ich sehe nur Einen, der sie empfand, wie sie empfunden werden muss, mit
belohnenden' Gott; das ist die gesamte Sozialphilosophie von Voltaire.") In der
Französischen Revolution ab 1789 kommt „la canaille", das Lumpengesindel,
nach N.s voltairisierender Lesart an die Macht. Zum Thema ausführlich Marti
1993, ferner Ottmann 1999, 156-163.
150, 19-26 Die blutige farce, mit der sich diese Revolution abspielte, ihre „Im-
moralität", geht mich wenig an: was ich hasse, ist ihre Rousseau'sche Morali-
tät - die sogenannten „Wahrheiten" der Revolution, mit denen sie immer noch
wirkt und alles Flache und Mittelmässige zu sich überredet. Die Lehre von der
Gleichheit!... Aber es giebt gar kein giftigeres Gift: denn sie scheint von der
Gerechtigkeit selbst gepredigt, während sie das Ende der Gerechtigkeit ist...]
Die Kritik an der einen Losung der Französischen Revolution, egalite, der
Gleichheit, ist bei N. ein Dauerthema, dem er beispielsweise in Za II Von den
Taranteln, KSA 4, 128-131 exemplarischen Ausdruck gibt, vgl. ausführlich NK
138, 15-18.
150, 26-28 „Den Gleichen Gleiches, den Ungleichen Ungleiches - das wäre
die wahre Rede der Gerechtigkeit: und, was daraus folgt, Ungleiches niemals
gleich machen."] In einer ersten Sammlung von Notaten stand dieser Passus
allein: „,Den Gleichen Gleiches, den Ungleichen Ungleiches — so spricht uns
die Gerechtigkeit. Und was daraus folgt, Ungleiches niemals gleich machen.'"
(NL 1888, KSA 13, 15[118], 479, 9-11) Es geht hier um das Prinzip der Vertei-
lungsgerechtigkeit, iustitia distributiva nach Aristoteles: Nikomachische Ethik
V, die „auf dem Grundsatze" beruht, „dass den Gleichen Gleiches, den Unglei-
chen Ungleiches zuertheilt werde" (Lasson 1882, 59). N. hat die Formulierung
jedoch aus anderer Quelle, nämlich aus Baumann 1879, 177, wo Gerechtigkeit
als eine der „bei den Alten gefeierten Cardinaltugenden" erscheint: „Gerechtig-
keit, die jedem das ihm Zukommende giebt, den Gleichen Gleiches, den Unglei-
chen Ungleiches. Es waren die (geforderten) Tugenden der wohlsituirten Klas-
sen, welche wegen ihrer Wohlsituirtheit neigten 1) zur Gedankenlosigkeit, 2)
zum Vergnügen, 3) zur Scheu vor Anstrengung und 4) zur Vorwegnahme des
Besten oder der Güter für sich" (Kursiviertes von N. unterstrichen, Durchgestri-
chenes von ihm durchgestrichen). Baumanns Handbuch der Moral ist auch als
Quelle für eine Stelle in Za II Von den Taranteln, KSA 4, 129, 17 f. identifiziert
worden (Götz 1995, 407); zur großen Bedeutung von Baumanns Werk für N.
siehe Brusotti 1997, 33-56 u. ö.
150, 28-151, 2 Dass es um jene Lehre von der Gleichheit herum so schauerlich
und blutig zugieng, hat dieser „modernen Idee" par excellence eine Art Glorie
und Feuerschein gegeben, so dass die Revolution als Schauspiel auch die
edelsten Geister verführt hat. Das ist zuletzt kein Grund, sie mehr zu achten. —
Ich sehe nur Einen, der sie empfand, wie sie empfunden werden muss, mit