562 Götzen-Dämmerung
N. in 154, 21 ebenfalls das Trachten nach einem ewigkeitsfähigen literarischen
Stil mit dem Zitat illustriert, das von einem gleich (154, 22) als Vorbild genann-
ten Autor stammt, erhält das „aere perennius" in AC 58, KSA 6, 245, 17 einen
politischen Sinn (vgl. auch GD Der Hammer redet, KSA 6, 161, 23 f.). In AC 58
wird es auf das Römische Reich selbst angewandt und damit die ursprüngliche
Bedeutung umgekehrt, wonach nämlich Staaten gerade nicht für die Ewigkeit
gemacht sind. Den Antagonismus von Römischem Reich und Christentum
illustrierte N. mit dem fraglichen Zitat schon in M 71, KSA 3, 69, 14. Er benutzte
das „aere perennius" schon früher gerne in unterschiedlichen Zusammenhän-
gen (JGB 251, KSA 5, 194, 9; M Vorrede 3, KSA 3, 13, 20; MA I 22, KSA 2, 43,
4 f.); es steht häufig im Metaphernfeld der Architektur.
154, 21-24 Nicht anders ergieng es mir bei der ersten Berührung mit Horaz.
Bis heute habe ich an keinem Dichter dasselbe artistische Entzücken gehabt,
das mir von Anfang an eine Horazische Ode gab.] 1862 wünschte N. sich eine
Gesamtausgabe des Horaz (65-8 v. Chr.) zu Weihnachten (N. an Franziska und
Elisabeth Nietzsche, Dezember 1862, KSB 1, Nr. 339, S. 228), die sich mit einigen
Lesespuren in N.s Bibliothek erhalten hat (NPB 307). Am 29. 01. 1882 schrieb
er an Heinrich Köselitz: „Wäre ich bei Ihnen, so würde ich Sie mit Horazens
Satyren und Episteln bekannt machen — ich meine, dafür sind wir Beide
gerade reif. Als ich heute hineinguckte, fand ich alle Wendungen bezau-
bernd, wie einen warmen Wintertag." (KSB 6, Nr. 191, S. 161, Z. 12-15). N.s
sonstige Urteile über Horaz sind freilich nicht immer schmeichelhaft, auch
wenn er dessen „feierlichen Leichtsinn" (MA I 109, KSA 2, 108, 22 f.; vgl. M 71,
KSA 3, 69, 18 f.) durchaus schätzte. Mitunter kommt auch die Nichtaktualisier-
barkeit von Horaz zur Sprache, so in NL 1878, KSA 8, 30[180], 555: „Gegen-
satz — Horaz unter lauter ewigen festgewordenen Dingen — wir unter lauter
ganz kurzen: jedes Geschlecht soll sein eignes Feld bestellen." Andere Stellen
betonen hingegen die Nähe: „Unsere erste Freude bei einem Dichter ist, einem
Gedanken, einer Empfindung zu begegnen, die wir auch haben; z. B. Horaz,
wenn er von seinem Landgut redet. Dann daß er unsere Gedanken so
hübsch sagt! — er ehrt uns damit!" (NL 1880/81, KSA 9, 10[B25], 417) Schließ-
lich wird er gerade seiner Nähe zum „griechischen Geschmack" wegen
erwähnt (NL 1885, KSA 11, 34[80], 444, 14 = KGW IX I, N VII 1, 146, 18), während
in GD Was ich den Alten verdanke der Dichter gerade zur Artikulation des
vorgeblichen Gegensatzes zwischen Römern und Griechen benutzt wird.
All dies ergibt kein kohärentes Horaz-Bild; N. bedient sich seiner je nach
Kontextbedürfnis. Bei Foucher 1873, den er 1887/88 las, konnte er eine wohl-
wollende Horaz-Darstellung finden, die statt des Stils seine Lebensführung ins
Zentrum rückte. „Sa morale, — quand il en a, — n'est que la prudence." (Fou-
N. in 154, 21 ebenfalls das Trachten nach einem ewigkeitsfähigen literarischen
Stil mit dem Zitat illustriert, das von einem gleich (154, 22) als Vorbild genann-
ten Autor stammt, erhält das „aere perennius" in AC 58, KSA 6, 245, 17 einen
politischen Sinn (vgl. auch GD Der Hammer redet, KSA 6, 161, 23 f.). In AC 58
wird es auf das Römische Reich selbst angewandt und damit die ursprüngliche
Bedeutung umgekehrt, wonach nämlich Staaten gerade nicht für die Ewigkeit
gemacht sind. Den Antagonismus von Römischem Reich und Christentum
illustrierte N. mit dem fraglichen Zitat schon in M 71, KSA 3, 69, 14. Er benutzte
das „aere perennius" schon früher gerne in unterschiedlichen Zusammenhän-
gen (JGB 251, KSA 5, 194, 9; M Vorrede 3, KSA 3, 13, 20; MA I 22, KSA 2, 43,
4 f.); es steht häufig im Metaphernfeld der Architektur.
154, 21-24 Nicht anders ergieng es mir bei der ersten Berührung mit Horaz.
Bis heute habe ich an keinem Dichter dasselbe artistische Entzücken gehabt,
das mir von Anfang an eine Horazische Ode gab.] 1862 wünschte N. sich eine
Gesamtausgabe des Horaz (65-8 v. Chr.) zu Weihnachten (N. an Franziska und
Elisabeth Nietzsche, Dezember 1862, KSB 1, Nr. 339, S. 228), die sich mit einigen
Lesespuren in N.s Bibliothek erhalten hat (NPB 307). Am 29. 01. 1882 schrieb
er an Heinrich Köselitz: „Wäre ich bei Ihnen, so würde ich Sie mit Horazens
Satyren und Episteln bekannt machen — ich meine, dafür sind wir Beide
gerade reif. Als ich heute hineinguckte, fand ich alle Wendungen bezau-
bernd, wie einen warmen Wintertag." (KSB 6, Nr. 191, S. 161, Z. 12-15). N.s
sonstige Urteile über Horaz sind freilich nicht immer schmeichelhaft, auch
wenn er dessen „feierlichen Leichtsinn" (MA I 109, KSA 2, 108, 22 f.; vgl. M 71,
KSA 3, 69, 18 f.) durchaus schätzte. Mitunter kommt auch die Nichtaktualisier-
barkeit von Horaz zur Sprache, so in NL 1878, KSA 8, 30[180], 555: „Gegen-
satz — Horaz unter lauter ewigen festgewordenen Dingen — wir unter lauter
ganz kurzen: jedes Geschlecht soll sein eignes Feld bestellen." Andere Stellen
betonen hingegen die Nähe: „Unsere erste Freude bei einem Dichter ist, einem
Gedanken, einer Empfindung zu begegnen, die wir auch haben; z. B. Horaz,
wenn er von seinem Landgut redet. Dann daß er unsere Gedanken so
hübsch sagt! — er ehrt uns damit!" (NL 1880/81, KSA 9, 10[B25], 417) Schließ-
lich wird er gerade seiner Nähe zum „griechischen Geschmack" wegen
erwähnt (NL 1885, KSA 11, 34[80], 444, 14 = KGW IX I, N VII 1, 146, 18), während
in GD Was ich den Alten verdanke der Dichter gerade zur Artikulation des
vorgeblichen Gegensatzes zwischen Römern und Griechen benutzt wird.
All dies ergibt kein kohärentes Horaz-Bild; N. bedient sich seiner je nach
Kontextbedürfnis. Bei Foucher 1873, den er 1887/88 las, konnte er eine wohl-
wollende Horaz-Darstellung finden, die statt des Stils seine Lebensführung ins
Zentrum rückte. „Sa morale, — quand il en a, — n'est que la prudence." (Fou-