566 Götzen-Dämmerung
NK KSA 1, 93, 26-31 u. 94, 2-4; zur Rezeption von N.s literarhistorischem Ver-
mischungskonzept bei Michail Bachtin siehe Poljakova 2004, bes. 208 f.).
Die in 155, 21-24 sowie in GT 14 diagnostizierte Vermischung von Stilfor-
men könnte auch als Beschreibung des Verfahrens verstanden werden, das N.
in GD selbst erprobt und auf die möglichst große, zentrumlose Vielfalt der
Ausdrucksmittel abzielt. In EH Warum ich so gute Bücher schreibe 4, KSA 6,
304, 8-12, rühmt N. gerade diesen seinen eigenen Reichtum: „in Anbetracht,
dass die Vielheit innerer Zustände bei mir ausserordentlich ist, giebt es bei mir
viele Möglichkeiten des Stils — die vielfachste Kunst des Stils überhaupt, über
die je ein Mensch verfügt hat". Zur Interpretation von 155, 21-24 in kynischem
Kontext siehe Niehues-Pröbsting 2005, 173 f., zum Cynismus-Problem in N.s
Spätwerk NK KSA 6, 302, 26-30 und im Blick auf Wagner NK KSA 6, 418, 3 f.
155, 24-27 Dass der Platonische Dialog, diese entsetzlich selbstgefällige und
kindliche Art Dialektik, als Reiz wirken könne, dazu muss man nie gute Franzo-
sen gelesen haben, — Fontenelle zum Beispiel.] N. besaß drei Ausgaben von
Werken Bernard Le Bovier de Fontenelles (1657-1757), namentlich seine an
Lukian orientierten Dialogues des morts, seine kritische Histoire des oracles
sowie in deutscher Übersetzung die Entretiens sur la pluralite des mondes (NPB
228 f.). Z. B. bei Brunetiere 1887, 124-134 fand N. im Rahmen eines Essays über
Marivaux auch Fontenelle gewürdigt, den man heute freilich kaum noch lese.
Hier stellt sich N. also bewusst gegen den zeitgenössischen Publikumsge-
schmack. „Fontenelle, en depit de quelques ridicules, demeure l'auteur des
Entretiens sur la pluralite des mondes, et, sous son air de galantin, un grand
esprit, comme on l'a dit, tres ouvert ä toutes choses, souvent profond ä force
de subtilite, capable enfin avec la meme intelligence, le meme tact, la meme
aisance de louer Malebranche et Cassini, Vauban et Leibniz, d'Argenson et
Newton. Tout cela provoquait, eveillait, excitait, nourrissait, remplissait, for-
mait l'esprit." (Ebd., 132; Kursiviertes mit Ausnahme des Buchtitels von N.
unterstrichen, Passus links mit Randstrich markiert. „Fontenelle, trotz einiger
Lächerlichkeiten, bleibt der Autor der Unterhaltungen über die Vielfalt der Wel-
ten, und, unter dem Anschein des Gecken, ein großer Geist, wie man gesagt
hat, sehr offen für alle Dinge, häufig tiefsinnig durch viel Subtilität, schließlich
fähig mit derselben Intelligenz, mit demselben Takt, mit derselben Gewandt-
heit Malebranche und Cassini, Vauban und Leibniz, d'Argenson und Newton
zu loben. All dies provozierte, erweckte, erregte, ernährte, erfüllte und formte
den Geist.").
155, 29 f. so präexistent-christlich] N. spielt mit der Amphibolie des Ausdrucks
„präexistent": Einerseits sind die das Christentum negativ auszeichnenden
Merkmale bei Platon schon vorweggenommen, andererseits versteht Platon
NK KSA 1, 93, 26-31 u. 94, 2-4; zur Rezeption von N.s literarhistorischem Ver-
mischungskonzept bei Michail Bachtin siehe Poljakova 2004, bes. 208 f.).
Die in 155, 21-24 sowie in GT 14 diagnostizierte Vermischung von Stilfor-
men könnte auch als Beschreibung des Verfahrens verstanden werden, das N.
in GD selbst erprobt und auf die möglichst große, zentrumlose Vielfalt der
Ausdrucksmittel abzielt. In EH Warum ich so gute Bücher schreibe 4, KSA 6,
304, 8-12, rühmt N. gerade diesen seinen eigenen Reichtum: „in Anbetracht,
dass die Vielheit innerer Zustände bei mir ausserordentlich ist, giebt es bei mir
viele Möglichkeiten des Stils — die vielfachste Kunst des Stils überhaupt, über
die je ein Mensch verfügt hat". Zur Interpretation von 155, 21-24 in kynischem
Kontext siehe Niehues-Pröbsting 2005, 173 f., zum Cynismus-Problem in N.s
Spätwerk NK KSA 6, 302, 26-30 und im Blick auf Wagner NK KSA 6, 418, 3 f.
155, 24-27 Dass der Platonische Dialog, diese entsetzlich selbstgefällige und
kindliche Art Dialektik, als Reiz wirken könne, dazu muss man nie gute Franzo-
sen gelesen haben, — Fontenelle zum Beispiel.] N. besaß drei Ausgaben von
Werken Bernard Le Bovier de Fontenelles (1657-1757), namentlich seine an
Lukian orientierten Dialogues des morts, seine kritische Histoire des oracles
sowie in deutscher Übersetzung die Entretiens sur la pluralite des mondes (NPB
228 f.). Z. B. bei Brunetiere 1887, 124-134 fand N. im Rahmen eines Essays über
Marivaux auch Fontenelle gewürdigt, den man heute freilich kaum noch lese.
Hier stellt sich N. also bewusst gegen den zeitgenössischen Publikumsge-
schmack. „Fontenelle, en depit de quelques ridicules, demeure l'auteur des
Entretiens sur la pluralite des mondes, et, sous son air de galantin, un grand
esprit, comme on l'a dit, tres ouvert ä toutes choses, souvent profond ä force
de subtilite, capable enfin avec la meme intelligence, le meme tact, la meme
aisance de louer Malebranche et Cassini, Vauban et Leibniz, d'Argenson et
Newton. Tout cela provoquait, eveillait, excitait, nourrissait, remplissait, for-
mait l'esprit." (Ebd., 132; Kursiviertes mit Ausnahme des Buchtitels von N.
unterstrichen, Passus links mit Randstrich markiert. „Fontenelle, trotz einiger
Lächerlichkeiten, bleibt der Autor der Unterhaltungen über die Vielfalt der Wel-
ten, und, unter dem Anschein des Gecken, ein großer Geist, wie man gesagt
hat, sehr offen für alle Dinge, häufig tiefsinnig durch viel Subtilität, schließlich
fähig mit derselben Intelligenz, mit demselben Takt, mit derselben Gewandt-
heit Malebranche und Cassini, Vauban und Leibniz, d'Argenson und Newton
zu loben. All dies provozierte, erweckte, erregte, ernährte, erfüllte und formte
den Geist.").
155, 29 f. so präexistent-christlich] N. spielt mit der Amphibolie des Ausdrucks
„präexistent": Einerseits sind die das Christentum negativ auszeichnenden
Merkmale bei Platon schon vorweggenommen, andererseits versteht Platon