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Lehmann, Otto:; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung A, Mathematisch-physikalische Wissenschaften (1911, 22. Abhandlung): Neue Untersuchungen über flüssige Kristalle, 1 — Heidelberg, 1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.37294#0003
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I. Geschichtliche Einleitung.
Versuche, die Kristallform des Ammoniumnitrats unter dem
Mikroskop zu bestimmen, hatten mich zu dem in damaliger Zeit
(etwa 1874) sehr überraschenden Ergebnis geführt, diese Sub-
stanz könne in mehreren festen polymorphen Modifika-
tionen auftreten, die sich in jeder Hinsicht verhalten
wie Aggregatzustände, d. h. eine Reihe bilden derart, daß
beim Erwärmen jeweils bei Überschreitung einer bestimmten
Temperatur Umwandlung in die nächste Modifikation stattfindet
und bei derselben Temperatur bei Abkühlung Rückumwandlung
in die frühere, vorausgesetzt, daß durch Berührung der beiden
Modifikationen Umwandlungsverzüge (ähnlich den Gefrier- und
Siedeverzügen) ausgeschlossen werden.
So kam ich zu der Vorstellung, das althergebrachte Axiom,
jeder Körper trete in drei und nur drei Modifikationen auf, einer
festen, einer flüssigen und einer gasförmigen (z. B. Eis, Wasser,
Dampf), sei irrig; mindestens müßten im allgemeinen mehrere
feste Modifikationen angenommen werden.
Der „Identitätstheorie", welche annimmt, die Moleküle dieser
Modifikationen seien identisch, die Modifikationen hätten nur
deshalb verschiedene Eigenschaften, weil die Art der Aggre-
gation der Moleküle verschieden sei, bereitete dieses Ergebnis
Schwierigkeiten. Immerhin konnte man ja den Molekülen so
komplizierte Struktur zuschreiben, daß im festen Zustand mehrere
Aggregationsarten der Moleküle als im Gleichgewicht befindlich
denkbar waren, wie dies auch MITSCHERLICHS Theorie der Poly-
morphie annahm.
Weiter machte ich bei den neuen Modifikationen des Am-
moniumnitrats die Beobachtung, daß sie um so weicher waren,
je höher die Temperaturgrenzen ihres Existenzgebiets,
ja, daß die zwischen 125° und dem Schmelzpunkt 161° stabile
regulär kristallisierende Modifikation wachsartig plastisch und
auch insofern dem Flüssigkeitszustand nahe war, als ihre Lös-

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