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Lehmann, Otto:; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung A, Mathematisch-physikalische Wissenschaften (1911, 22. Abhandlung): Neue Untersuchungen über flüssige Kristalle, 1 — Heidelberg, 1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.37294#0004
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Ö. Lehmann :

lichkeit in Wasser gegen den Schmelzpunkt hin enorm
zunahm, beim Schmelzpunkt seihst schließlich fast unbeschränkt
wurde.
An diese Beobachtung schloß sich die weitere Entdeckung,
daß Jodsilber eine ähnliche sehr weiche regulär kristallisierende,
zwischen 146° und dem Schmelzpunkt 450° beständige Modifi-
kation besitzt/) Diese Modifikation war keineswegs unbekannt,
man wußte aber nicht, daß sie aus Kristallen des regulären
Systems besteht, sondern hielt sie für amorph zähflüssig, ver-
gleichbar der bekannten zähflüssigen Modifikation des Schwefels.
Waren also die von mir gefundenen Kristalle „flüssige Kri-
stalle" ?
Das Charakteristikum eines festen Körpers, vollkommene
Verschiebungselastizität unterhalb einer bestimmten „Ela-
stizitätsgrenze", zeigten sie nicht. Demgemäß mußte man sie
„flüssig" nennen. Doch eine Flüssigkeit konnte nach der da-
maligen Auffassung (d. h. nach der Identitätstheorie) nicht kri-
stallinisch sein, war doch der Übergang zum kristallisierten, mole-
kular geordneten Zustand identisch mit Erstarrung. Im flüssigen
Zustand mußte die molekulare Bewegung, die uns als Wärme
erscheint, die sich auch kundgibt durch Diffusion und BROWN'sehe
Wimmelbewegung, jede Anisotropie (abgesehen von solcher, die
durch Wirkung äußerer Kräfte aufrechterhalten wird, wie bei
elektrisch- oder ma.gnetisch-doppelbrechenden Flüssigkeiten oder
unter Zwang stehenden harzigen Massen usw.) notwendig zer-
stören, selbst wenn sie aus irgendeinem Grunde für einen Moment
entstanden wäre.
Daran, daß die beobachteten zähflüssigen Jodsilbergebilde
dennoch „Kristalle" seien, war aber nicht zu zweifeln. Sie
hatten die Fähigkeit zu wachsen, und zwar in Form (skelett-
artig ausgebildeter) regulärer Oktaeder, während amorphe, nicht
kristallisierte Körper (Gläser, Harze), wie ich fand, niemals die
Fähigkeit besitzen, zu wachsen und nur die zufällige Gestalt der
Flüssigkeit (Schmelze) annehmen, aus welcher sie (durch all-
mähliche Erhärtung) entstanden sind. Man konnte höchstens
annehmen, die Elastizitätsgrenze der weichen Jodsilberkristalle
liege so niedrig, daß sie sich der Wahrnehmung entziehe. Wer
diese Annahme nicht machen wollte, sah sich genötigt, die Exi-
i) Siehe meine Schrift : „Dig theM ater AWataMg, Leipzig,
Akademische Veriagsgesellschaft, 1911, S. 154ff.
 
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