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Driesch, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 18. Abhandlung): Logische Studien über Entwicklung, 2 — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37695#0056
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56

Hans Driesch:

Zweitens: Das biologische harmonisch-äquipotentielleSystem
verhält sich beliebigen Deformationen gegenüber ganz
gleichgültig. Man kann es zwischen Platten pressen, in Kapil-
laren saugen usw., ohne das „typische“ Resultat zu stören; ja
jede beliebige Schnittoperation nimmt nicht nur gewisse Elemente
weg, sondern deformiert auch die Lage der übrigbleibenden.
Hier haben wir den Schritt zur unendlichen Mannigfaltig-
keit möglicher Variationen; denn jetzt handelt es sich um Orts-
änderungen der einzelnen Elemente des Systems, deren es für
jedes Element eine unendliche Fülle des Möglichen gibt.
Da aber versagt mit dem Begriff des „Instrumentes“ auch
der des Präzisionsinstruments.
Jetzt, auf Grund der neu gewonnenen Einsicht, darf es also
nicht nur als „unwahrscheinlich“, sondern muß es als unmöglich
erklärt werden, daß die Differenzierung biologischer harmonisch-
äquipotentieller Systeme in einen „Präzisionsmechanismus“ auf-
lösbar sei.
Der Biologe wird hier vielleicht sagen, Deformationen z. B.
an der Blastula würden ja doch durch Osmose, Quellung oder
anderes ausgeglichen. Darauf kommt es aber im Rahmen unserer
ideell-abstrakten Betrachtung nicht an. Daß, wenn es sich um
Mechanismus handeln soll, jedes Element nur eine ganz be-
stimmte Stelle im System einnehmen darf, darauf kommt es an.
Dazu genügt so ein unbestimmter Formausgleich nicht. Daß
dieser andererseits zur Erziehung eines normalen Ergebnisses
genügt, zeigt, daß es sich nicht um Mechanik, welche eben Prä-
m’Mcmsmechanik sein müßte, handeln kann.
Will man gern das Wort „Mechanik“ für eindeutig faßbares
Naturgeschehen überhaupt verwenden, so wird man also die
„Lebensmechanik“, welche ohne den konstituierenden Begriff des
Ganzen nicht auskommt, als neuen Grundtypus des Geschehens
neben die eigentliche, als Komplexe von Differentialgleichungen
darstellbare „Mechanik“, sei sie galileisch-newtonisch oder sonst-
wie geformt, stellen müssen.
Es gibt also zwei Grundformen des Werdens an empirischen
materiellen Systemen; die zweite ist, neben anderem1, in der Tat-
sache der harmonischen Äquipotentialität ausgeprägt. In dieser
Tatsache und in allem ihr Verwandten zeigt sich uns ein zweites

1 Ich denke an die „Handlung“, s. Phil. d. Org. II, S. 49ff.
 
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