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Immisch, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 7. Abhandlung): Agatharchidea — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37684#0006
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Otto Immisch:

und πείΕειν, diese Schiboleths in der Definition aller Intellek-
tualisten, aus der beherrschenden Stellung im obersten Zweck
der Redekunst verdrängt, er hat geradezu έ'κστασις sowie το σύν
έκπλήξει Ταυμάσιον (also die Bestürmung des Gemütes) der
Verstandesbeeinflussung ausdrücklich übergeordnet (1, 4). Frei-
lich tut er das wiederum in einer merkwürdig einseitigen Weise,
indem er nun aus dem weiten Gebiete der emotionalen Wirkungen
diesen Vorzug eben nur dem Pathetisch-Erhabenen zuerkennt1
und ausdrücklich sagt, es habe den Vorrang (κρατεί) nicht nur
του πιθανού, sondern auch του προς χάριν. Dagegen des Era-
tosthenes ψυχαγωγία — hei dem Ineinanderfließen der Vers-
und der Prosakunst2 in diesen Theorien darf sie ohne weiteres
herangezogen werden — umfaßte wohl beide Seiten gleichmäßig,
und bei Dionys (π. συνθ. 10f.) und Ploraz (ars poet. 99 f.) sehen wir
das näher ausgeführt. Kurz, wir haben es mit Systematisierungs-
versuchen sehr mannigfaltiger Art zu tun3, für die indessen wesent-
lich sind einmal die verstärkte Geltung des Emotionalen, sodann
eine gewisse allgemeine Entwicklungslinie der praktischen Ästhetik,
die, was nunmehr wohl in der Hauptsache anerkannt wird, peri-
patetisch bestimmt ist. In dieser Richtung liegen denn auch
die uns beschäftigenden Gedanken des Agatharchides, und das
kann nach allem, was sich uns namentlich auch über seine philo-
sophische Haltung ergeben wird, in keiner Weise befremden. Nur
gilt es, scharf zu betonen, daß seine Fragestellung in dem uns
beschäftigenden Proömium nicht von grundsätzlicher oder um-
fassender Art ist, sondern er hat, wie wir sahen, einen ganz bestimmt
1 Vgl. ‘altus’ im Urteil der κριτικοί über Accius gegenüber dem doctus
Pacuvius (Iioraz, Ep. 2, 1, 50, wohl nach Varro).
2 Agatharchides selbst stellt ja 445b 39 sein Thema auf als ein solches,
worüber πολλοί καί των πολιτικών άνδρών καί των ποίημα γεγραφότων διηπορήκασιν.
Beiläufig: die Terminologie πολιτικοί und ποιηταί schon bei Isocrates,
Euag. 10; vgl. Brandstaetter, Leipz. Stud. 15 (93) 138 u. 193f. —- Die
Auffassung des Eratosthenes vertritt Agatharchides offenkundig in der
bedeutsamen Stelle 444b 20ff., die mit den Worten schließt: δτι πας
ποιητής ψυχαγωγίας ή (d. i. μάλλον ή) άληθείας έστί στοχαστής; vgl. auch
Diodor 3, 11, 1 und 17, 1.
3 Z. B. stehen bei Dionys und Horaz καλόν und ήδύ als die zwei γενικώ-
τατα sich gegenüber, während Panätius (der allerdings die körperliche Schön-
heit meint) bei Cicero off. 1, 130 innerhalb der pulchritudo selbst zwei genera
unterscheidet, die mehr weibliche venustas und die mehr männliche dignitas,
was doch schwerlich, wie Heinze zu Hör. 99 anmerkt, auf dasselbe hinaus-
läuft.
 
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